Eine verdrehte Welt
In dem Umfeld, das mich heute umgibt, ist den Menschen nur wichtig, wie viele Stellen ihr Kontostand aufweist und wie viele Grundstücke sie besitzen. Ich kannte früher nur Angst und Flucht. Mittlerweile bin ich 22 Jahre alt und studiere Umweltwissenschaften in Prag. Meine Mama hätte wahrscheinlich nie gedacht, dass ihre Tochter es mal so weit schaffen würde, aber da bin ich.
Andere kleine Mädchen wollen Prinzessinnen werden oder schöne Kleider tragen. In meiner Kindheit ging es vor allem darum zu überleben. Meine Mutter schaffte es nicht, meinen Papa habe ich nie kennengelernt und mit meinem Bruder floh ich eines Nachts aus einem Dorf in Mosambik, Südostafrika. Die Nacht war noch jung – so wie wir – doch wir wussten, wir müssen fliehen, bevor uns die immer stärker werdenden Stürme mit in den Untergrund reißen. Unser einstiges Zuhause war dem Untergang geweiht. Uns war klar, dass es für uns hier keinen Zukunftszauber geben würde. Die Flucht war sehr beschwerlich, doch wir schafften es, wir konnten entkommen. Die meiste Zeit waren wir zu Fuß unterwegs, als uns eines Morgens ein alter Seefahrer aufgabelte und nach Europa brachte. Viele schlaflose Nächte verbrachten wir auf hoher See. Doch als wir den Kontinent, von dem sich jeder erzählt, dass er Träume verwirklichen könne, erreichten, füllte sich unser beider Herz mit Hoffnung. Diese Zuversicht verblasste ziemlich schnell, denn niedergelassen haben wir uns nie, für die kommenden fünf Jahre nicht. Wir waren ständig auf dem Sprung, arbeiteten in Restaurants in der Küche, um uns vor dem Hunger zu retten, und schliefen fast jede Nacht woanders. Manchmal hatten wir Glück, manchmal nicht. Manchmal verbrachten wir die Nacht draußen, manchmal nahm uns jemand für ein paar Tage in seinem Heim auf.
Der 23. Mai 2003 veränderte für uns alles. Eine gut gekleidete Frau kam an unserem Schlafplatz, einer dreckbeschmierten Parkbank, vorbei. Sie gab uns Essen und setzte sich zu uns. Unsere ganze Lebensgeschichte wollte sie wissen, doch als unzählige Tränen meine Wagen hinunterliefen, während ich anfing von unserem alten Zuhause und der Flucht zu erzählen, nahm sie mich in ihren Arm. Sie begann meinen Kopf zu streicheln und flüsterte mir immer wieder zu, dass alles gut werden würde.
Die nächsten zwei Jahre waren wir ihre Gäste, danach wurden wir zu ihren Kindern, die sie nie hatte. Bildung, Essen, Liebe und Hoffnung – all das schenkte sie uns. Ohne jegliches Zögern ermöglichte sie uns ein besseres Leben, ein Leben voller Zukunftszauber. Diese Frau hat mir gezeigt, wofür ich bestimmt bin. Diese Frau ist der Grund dafür, dass ich nach meinem Studium Weltbewegendes vorhabe. Ich will das vorbestimmte Schicksal von Kindern verändern, die genau gleich viel Angst in sich tragen, wie ich es damals tat. Ich will dem Wandel des Klimas und all den damit verbundenen Katastrophen der Natur entgegentreten. Ich werde für den Zauber der Zukunft kämpfen, um die Welt ein klein bisschen weniger verdreht zu hinterlassen.
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