Einfach Genug; von seinem Leben
»Genug für heute«, hauchte der Arme, der einen trockenen Brotlaib unter einem Tuch versteckte.
»Das ist nicht genug! «, schreit der Reiche, der so breit, wie groß ist und beinahe unter seinem Schweiß ausrutscht, während er sich seinen ordentlich geschnittenen Ziegenbart zupft und seinen Bediensteten dabei zusieht, wie sie abertausende Goldbarren in sein glanzvolles Heim tragen. Die Gier ist hinter seinen Fettfalten zu sehen, wie der Speck über seine Seiten hinaushängt, er kriegt nicht genug, weder sein Körper, noch sein Geist haben genug, werden es auch niemals haben.
»Es reicht«, trällert eine großgewachsene Frau, versteckt hinter teuren Tüchern mit dicken Lippen und einer großen Nase. Ihre Zähne sind riesig weiß, wenn sie ihren Mann anlächelt, der sich vor Freude den Schweiß vom Kinn abwischt. »Es reicht? «
»Du kriegst nie genug, Liebster. « Ihre Stimme war sanft, so wie ihr Lächeln es war, aber ihre runden Augen waren amüsiert über den Anblick ihres Mannes. »Du kriegst auch niemals genug vom Leben, nicht wahr? «
»Ja, wenn ich könnte, würde ich mir noch mehr Zeit kaufen, bis ich endlich genug vom Leben habe! « Lautes Lachen erschallte, das Augenverdrehen bei seinen Bediensteten verursachte. Es war genug. Genug für sie zumindest, wenn er auf der Stelle sterben würde, wäre es ihnen nicht wichtig. Sie hatten genug von ihm und von seiner Art, von ihm und seinem Leben. Einfach genug.
Der Arme saß am Bahnhof, besah sich mit seinen leeren Augen die Umgebung, bevor er das Läutewerk des nächsten Zuges hörte. Schwerfällig stand er auf, sein Körper bestand nur noch aus Haut und Knochen. »Ich habe genug. «
Mit diesen Worten stellte er sich auf die Gleise hin und schloss seine Augen, wartete darauf, sein Leben zu beenden. Er hatte genug, von sich und seinem Leben. Einfach genug.
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