Einzelgängerplanet
Mein Leben begann in Licht.
Der Anfang dauerte lange und ist doch schwierig zu bestimmen. In einem Augenblick war da nichts als Leere, Staub und Dunkelheit. Dann zog sich alles zusammen, und auf einmal begann meine Existenz und die Existenz des Lichts.
Es war ein Stern, der mich schuf. Ich band mich in seine Gravitation und schwang um ihn herum, in Kreisen über Kreisen. Er schenkte mir Licht und Wärme, einen Grund zum Sein.
Natürlich hielt es nicht für immer. Mein Leben begann in Licht, und nun gibt es nur noch die Dunkelheit.
Ich weiß nicht mehr genau, wie es dazu kam, dass ich meinen Stern verließ. Er verließ sich doch auf mich, oder? Vielleicht bekam ich Zweifel, nach tausenden oder Millionen oder Billionen von Jahren friedlicher Koexistenz. Vielleicht sah ich über die Ränder des Universums hinaus, in andere Galaxien, wo andere Sterne die Atmosphäre ihrer Planeten zerstörten, sie auffraßen, sie vernichteten. Vielleicht wurde ich des ewigen Kreisens müde.
Im Endeffekt ist es auch vollkommen egal. Ich verließ meinen Stern auf der Suche nach einem anderen Sinn – und nun bin ich allein. So allein, wie ich es seit jenem wunderschönen Anfang nicht mehr war.
Um mich herum ist alles dunkel. Meine Ringe bestehen aus Staub und Eis, so kalt wie ich es jetzt bin. Ich drifte schon seit geraumer Zeit durch die Dunkelheit, ziellos, grauenvoll allein. Meinen Stern habe ich schon lange verloren. Sonst würde ich zurückgehen.
Manchmal treffe ich andere wie mich. Planeten, die ihre Sterne verlassen haben. Wir sprechen kein Wort, doch zwischen uns hängt dasselbe Heimweh, dieselbe Sehnsucht. Wir würden alles tun, um wieder zurückgehen zu können.
Manchmal frage ich mich, ob sich mein Stern noch an mich erinnert. Ob ein anderer Planet meine Stelle eingenommen hat. Ob sich irgendjemand in der niemals endenden Leere dieses Universums an mich erinnert.
Manchmal sehe ich Dinge, die mich faszinieren. Kreationen des Universums, die ich mir nie erträumen hätte können. Ich sehne mich nach meinem Stern, doch die Galaxien, die ich so durchstreiche, lassen mich das von Zeit zu Zeit fast vergessen.
Aber immer nur fast. Dann sehe ich wieder, wie ein Stern seinen Planeten so eng an sich zieht, dass ihre Jahre nur Tage lang dauern. Dann wünsche ich, ich hätte dieses Schicksal in Kauf genommen – ich wünsche sogar, ich hätte es in Kauf genommen, zerstört zu werden. Alles, ich würde alles tun, um nur noch einmal Wärme zu spüren.
Doch ich kann nichts daran ändern, was ich getan habe. Ich kann immer nur weiter durch das endlose Universum driften, hoffnungslos, namenlos, ohne Licht und ohne Wärme. Immer weiter wandere ich in der Dunkelheit, die, soweit ich auch wandere, einfach kein Ende nimmt. Die Kälte umhüllt mich immer enger und meine Ringe werden immer eisiger.
Immer weiter.
Die Menschen der Erde nennen mich einen Einzelgängerplanet. So verbringe ich meine Existenz jetzt – für immer allein, in einer Ewigkeit von Leere und Dunkelheit.
Keine Wärme.
Kein Licht.
Kein Ende.
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