Endlos
Sie schreien mich an. Auf einer Sprache, die ich nicht verstehe, aber um den Sturm in ihrem Inneren, der allein durch ihr Gesicht verraten wird, zu erkennen, brauche ich ihre Sprache nicht. Ein Kind stolpert und lässt einen ohrenbetäubenden Schrei los, der in weniger als zwei Minuten mit einem festen Schlag auf den Rücken gedämpft wird. Und noch einer, und noch einer. Selbst als das Geschrei völlig verstummt war, hallt die Peitsche noch in der Kälte der dunklen Nacht. Ich will nur schlafen. Oder sterben. Aber sogar das darf ich hier nicht selbst entscheiden. Der viel zu dünne, Pyjama-Artige Stoff, den wir alle tragen, schützt uns keinesfalls. Nicht vor der Kälte, der Härte dieses Ortes, und vor ihren Schlägen schon gar nicht. Endlich am Schlafplatz, dachte ich, endlich ein Bett, endlich etwas Ruhe. Ich ersticke fast von der Last der Menschen, die überall um mich herum und auf mir liegen. Doch die Müdigkeit des Tages setzt schnell ein und ich lasse mich in meine Albträume fallen, in denen ich lieber verschwunden wäre, anstatt am nächsten Tag meine Augen zu öffnen.
Leider starb ich nicht im Schlaf. Wie schön wäre es gewesen, aber der ohrenbetäubende Laut der Trillerpfeife weckt mich. Sie werfen mir ein altes Brot hin, wie einem Kettenhund, der nicht mehr zu gebrauchen war. Danach heißt es aufstellen. Nicht bewegen, ruhig stehen. Sie schauen, ob alle noch da sind. Ob sich keiner die Freude bereitet hat, sich selbst in den ewigen Schlaf zu schicken, denn diesen friedlichen Abgang hätten wir alle nicht verdient. Wieder Schreie, mit den folgenden Geräuschen der Tritte. Die frisch eingravierte, schwarze Nummer einer jungen Frau hatte angefangen zu bluten. Sie schluckte ihre Tränen herunter, wodurch ihr weitere Schläge erspart blieben. Als wäre nichts gewesen, als passiere es nicht, als wäre das alles nicht real. Denn hier sind wir nicht Mensch genug, um für unser Leiden auch nur eines Blickes gewürdigt zu werden.
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