Endlose Scheiße
„Genug vom Leben.“ Dies erkannte ich, als ich ein Foto von mir sah, das gestern geschossen wurde. Wie ich aussehe! Dieses entsetzliche, fette Schweinegesicht, dieser XXL-Bauch, entsetzlich! Als sich meine Eltern 2007 scheiden ließen, nahm ich schlagartig zu. So stark, dass ich eigentlich in einem Weltrekordbuch stehen müsste. Dies quälte mich seit ca. 2010, als ich zehn Jahre alt war. Es half nichts. Im Sommer 2014 startete ich eine Extrem-Diät, bei der ich nur frühstückte, am Tag sonst nichts aß. Dies hielt mit Höhen und Tiefen sehr gut, bis zum letzten Schultag des Schuljahres 2015/2016. An diesem Tag hatte ich eine große Auseinandersetzung mit meiner Mutter. An diesem Tag fing ich an zu rauchen (hatte vorher schon mal eine probiert, war aber nur zum Spaß) und zu trinken, was meinem Vater sehr wehtat. Ich kann nicht beschreiben warum, doch alleine, weil er sagte, dass mein Verhalten ihm unendlich wehtun würde, trank ich vor seinen Augen mindestens eine ganze Flasche Wein weg. Er versuchte mich abzuhalten – sinnlos.
Die nächsten Tage war ich alleine, trank flaschenweise Alkohol und rauchte unendlich viele Zigaretten und holte vom McDonald’s sechs Burger. Nach dem dritten musste ich mich zwar übergeben, doch den Rest aß ich auf, zwar nicht alles auf einmal, aber weg waren sie doch. Ich ging tagelang mit Freunden weg, wir machten durch und soffen und tranken nach Herzenslust. Ich wusste, dass das alles nicht gut war, aber was hatte ich für eine andere Wahl? Seit Jahren gehe ich nicht bis sehr selten schwimmen und dann schäme ich mich so sehr, dass mir das Blut in den Adern stockt. Es gibt Tage an denen ich meinen Eltern sagte, dass sie mich nicht ansehen dürfen, weil ich mich so hässlich finde. Mein Vater sagte, ich sollte einen Psychologen aufsuchen, da ich eine Depression habe. Das sagte mir auch meine Osteopathin. Sie sagte mir, dass selbst, wenn ich einmal meinen Körper so hätte, wie ich ihn mir vorstellte, würde ich trotzdem noch denken, er wäre scheiße und deshalb müsste ich eine Therapie machen. Aber ich will nicht. Ich will niemandem etwas sagen.
Ich trage fast jeden Tag nur schwarz, weil ich denke, dass mich das schlanker macht, aber wer weiß. Oft denke ich, dass ich einfach nie wieder auf die Straße gehe, damit mich niemand sieht, ich will ja auch niemanden sehen. Ich schaue den Menschen nie ins Gesicht, immer nur auf den Boden oder in die Luft, damit alle glauben, dass ich etwas Besseres bin oder weil ich mir das einbilden möchte. Jeden Tag, wenn ich auf die Straße gehe, sehe ich Menschen, die „besser“ aussehen als ich und dann fühle ich mich so beschissen, dass ich den Bauch bis zum geht-nicht-mehr reinziehe und die Nase in die Luft hebe und einfach weggehe. Ich habe mir überlegt, dass ich die Schule abbreche, das ist aber auch keine Lösung. Andererseits ist es sowieso genug. Genug von der Schule, genug von der Hölle, genug vom Selbsthass, genug vom Leben.
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