Endlose Stille
Ein dumpfer Knall nach dem anderen, man hört jeden Aufprall und er zerreißt die unerbittliche Stille. Ich blicke starr gerade aus und meinem grausamen Schicksal furchtlos entgegen. Der Gedanke an den Tod erfüllt mich zunehmend mit Gelassenheit, mein Ableben wird mich endlich von dieser Hölle auf Erden erlösen. Ich betrachte die Situation mit kühler Abwesenheit. Ein Körper fällt zu Boden, ein weiterer Körper folgt - ich bin Gewalt gewohnt, bin abgestumpft und immun gegen sie geworden, da sie schon seit geraumer Zeit Teil meines Lebens ist. Wenn man zu viel über das Leid der Getöteten trauert, tötete es einen selbst. Mitleid frisst einen geradezu von Innen auf, bis es nichts mehr als eine leere Hülle zurücklässt, einen Körper, dessen Seele gepeinigt von der unrechten Folter längst das Weite gesucht hat.
Durch die Deutschen habe ich gelernt, was Qualen sind. Ihre Empfangsworte sind immer die gleichen: „Schneller! Bewegt euch!“ Egal wo und zu welcher Uhrzeit: Wer nicht gehorcht oder nicht mehr kann, endet mit dem Gesicht zur Erde. Ich weiß nicht, ob ich überhaupt weiterleben könnte, ob es ein Leben nach der Nazi-Hölle gäbe und ob ich je wieder die Kraft und Stärke hätte, nach vorne zu schauen. Ich, zusammen mit einer kleinen Familie in einem Haus am Rande von Lodz, so, wie ich es früher gekannt habe: Mit Menschen, die sich auf den breiten Straßen drängen, sich unterhalten und diskutieren, unabhängig von ihrer Herkunft oder Religion und mit Kindern, die herumlaufen, fangen spielen, sich amüsieren und an der Ner ihre selbst gebastelten Bötchen schwimmen lassen. Ihr Lachen erfüllt die ganze Stadt mit unendlicher Lebensfreude. Doch dieses Lodz gibt es schon lange nicht mehr. Der Krieg zeichnet sich überall ab. Ich erinnere mich nicht gerne an die Zeit vor dem Krieg, denn über allem liegt der riesige Schatten der Wehrmacht. Sie haben meine Familie auseinandergerissen, zuerst ist mein Bruder verschwunden. Seitdem hat sich meine Mutter jeden Abend in den Schlaf geweint, und ich zerbreche noch heute an ihrem Kummer. Es mag schrecklich klingen, aber als auch ich weggebracht worden bin, bin ich gezwungen gewesen, meine Familie zu vergessen. Ich darf mir keine Gedanken darüber machen, wie es ihr ohne mich ergeht. Überleben ist das Ziel und bis zu diesem Augenblick habe ich alles darangesetzt, mich nicht zusätzlich zu belasten.
Es sind Momente wie diese, die mir vor Augen halten, wie wertlos ich in den deutschen Augen bin, nicht würdig, zu existieren. Nun soll meinem Leben endgültig ein Ende gemacht werden, jede Rettung kommt zu spät, es scheint aussichtslos. Trotzdem flackert da ein Licht, eine Flamme entzündete sich in meiner Brust – Hoffnung auf Freiheit! Ohne nachzudenken, ergriff ich meine Chance, als die Soldaten kurz abgelenkt sind. Ich renne so schnell los, wie es meine Beine zulassen. Hinter mir rufen Stimmen und Schüsse ertönen, doch ich rette mich in die Dunkelheit eines nahegelegenen Waldes und kauere mich zusammen, bis nichts mehr zu hören ist.
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