Erinnerst du dich noch
Wir liefen durch die Nacht. Erinnerst du dich noch? Es war finster, fast schon stockdunkel und wir stolperten über Steine und Wurzeln, die den Boden übersäten. Die einzigen Geräusche waren unser Atmen und unsere schweren Schritte. Weißt du noch, wovor wir weggelaufen sind? Es fühlt sich wie eine halbe Ewigkeit an. Das was uns dazu brachte, nicht stehen zu bleiben, nein auf keinen Fall stehen bleiben, denn wenn wir anhalten, holt es uns ein und dann ist es aus. Wir zogen uns gegenseitig an den Händen, sodass niemand zurückfallen konnte, immer und immer weiter.
Dann sahen wir einen Fluss. Er war nicht tief, nur breit, also dachten wir er wäre leicht zu durchqueren. Genau das versuchten wir auch, oder? Du watetest voran, immer der Nase nach, meine Hand fest in deiner gehalten, quer durch das Wasser. Doch ich fiel. Manchmal spüre ich es noch. Es weckt mich in der Nacht auf, das Gefühl des Wassers um mich herum, oben, unten, links und rechts. Du hast mich rausgezogen und so lagen wir keuchend und hustend am anderen Ufer. Nur kurz, oder zumindest kam es mir nicht so lange vor, aber es war lang genug, dass es uns einholen konnte. Ich hörte das Rascheln und wie es langsam näherkam und packte deine Hand, um dir aufzuhelfen. Du hast es zuerst nicht verstanden und mich verwirrt angesehen. Ich weiß bis heute nicht, ob du es nicht gehört hast oder ob du nicht mehr laufen konntest und wolltest, zu erschöpft psychisch und physisch, zu müde, um noch einen Schritt zu gehen. Ich war verzweifelt, und bat dich aufzustehen, bitte… nur noch ein kleines Stück, dann haben wir es geschafft… bitte, ich flehe dich an. Du hast nur deinen Kopf geschüttelt. Ich sah es in deinen Augen, du hattest dich entschieden und jetzt gab es kein Zurück mehr für dich.
Meine Sicht verschwamm und ich versuchte energisch die Tränen aus meinen Augen zu blinzeln. Das Rascheln war mittlerweile direkt vor uns, versteckt hinter dem einen Gebüsch, dass sich ein paar Meter zog. Geh bitte, sagtest du. Ich schüttelte meinen Kopf. Wie könnte ich das machen? Wenn du bleibst, bleibe ich auch, denn ich werde nicht ohne dich gehen. Nein, hör mir zu, geh bitte, lauf so schnell du kannst. Aber komm für mich zurück, wenn es hell ist. Aber jetzt geh bitte, sagtest du. Du warst so ruhig, fast schon gelassen. Ich ging einen Schritt rückwärts und du nicktest mir zu. Also drehte ich mich um und lief. Ich lief so schnell wie ich nur konnte und versuchte die Geräusche hinter mir auszublenden. Wenn du dir das wünscht, wie könnte ich mich dem dann widersetzen?
Erinnerst du dich noch daran? Ich kam für dich zurück. Aber diesmal hast du mich zurückgelassen. Das ist okay. Geh bitte, ich wollte mich nur verabschieden. Und dir danken.
Meine Hand sinkt vom Marmorstein. Eine letzte Berührung, da ich nicht glaube, dich für eine Weile wiederzusehen. Ich drehe mich um und verlasse dich wieder. Denn ich denke nicht, dass der Tod mir noch eine letzte Antwort schenken könnte.
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