Erinnerungen des Lebens
Frau Hedwig war eine beeindruckende 84 Jahre alte Frau, die im Laufe ihres Lebens die Welt bereiste. Als sie sich schließlich entschloss ins Altenheim zu ziehen, fiel ihr der Umzug jedoch nicht leicht. Denn der Abschied von ihrem geliebten Haus, das so viele Erinnerungen barg, war sehr schwer für sie.
Als sie ihr Haus durchforstete, bevor sie ins Altenheim zog, blickte sie noch ein letztes Mal auf ihren Dachboden, den sie noch nie betreten hatte. Es war ein kleiner, unordentlicher Raum, gefüllt mit Kisten und alten Möbeln. Die Neugier packte sie, und sie beschloss, einen Blick auf ihre alten Fotoalben zu werfen.
Ihre Hände zitterten vor Aufregung und Erregtheit, als sie die erste Seite aufschlug. Die Bilder waren vergilbt und die Ecken der Alben leicht zerknittert, doch sie trugen eine unbeschreibliche Wärme in sich.
Hedwig blätterte durch die Seiten und begegnete Gesichtern aus einer längst vergangenen Zeit; ihrer Jugend, den Sommerfesten in der alten Heimat, der Schweiz, den Hochzeiten von Freunden und Familienmitgliedern. Jeder Augenblick, der auf den Bildern festgehalten war, schien lebendig zu werden. Sie erinnerte sich an die Klänge der Musik, die sie in den Sommernächten hörte, das Lachen der Kinder und die Gespräche, die lange verklungen waren.
Ein Bild zeigte sie mit ihrem Mann bei ihrem ersten Tanzabend. Tränen stiegen ihr in die Augen, als sie sich an die Liebe erinnerte, die diesen Moment durchdrang. Während sie durch die Alben blätterte, erlebte sie die Vergangenheiten neu, als ob sie die Zeit zurückdrehen könnte.
Auf einer der letzten Seiten eines Albums fand sie ein Zitat in der verschnörkelten Schrift ihres verstorbenen Mannes: „Augenblicke sind wie flüchtige Funken, die aus der Dunkelheit des Alltags hervorschießen, nur um ebenso schnell wieder zu verglimmen. Sie tanzen auf der Grenze zwischen Vergangenheit und Zukunft, so wie wir in jener Nacht, und doch tragen sie das Gewicht ganzer Leben in sich.“
In diesen Augenblicken fand Hedwig Trost und eine tiefe Verbundenheit mit ihrem Leben. Der Dachboden war für sie zu einem Ort der Erinnerung und des Friedens geworden, der ihr half, den Verlust ihres Mannes zu akzeptieren.
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