Es ( die Idee)
Manchmal ist es auf einmal da. Dann freue ich mich und ich weiß, das habe ich unwissentlich, aber so sehnsüchtig erwartet und gesucht. Ich bewahre es, sichere es und drehe den Schlüssel. Dann bleibt es dort, ich denke mir, ich werde es herauslassen, wenn es sich richtig anfühlt.
Dann, unvorhergesehen, plötzlich, aus dem Nichts heraus, Hals über Kopf, suche ich es, fiebrig und gehetzt, nicht wissend, wo ich suchen muss.
Sitzt es draußen im Baum vor meinem Fenster, fliegt es Kreise vor dem Himmel, ist es auf den Asphalt der Straße gefallen und wurde eingetreten, bis es grau und unscheinbar wurde, ist es verwoben in den Faserschichten des weißen Blattes vor mir?
Ich kann den Baum und den Himmel anstarren,
den Asphalt studieren,
das Blatt wenden, falten, zerknüllen und zerreißen.
Ist es in mir selbst verloren gegangen?
Ich beginne, mich auseinanderzunehmen, lasse alle Halterungen sprengen, drehe Schrauben heraus und zerschneide alle Seile, am Ende bin ich nach wie vor. . . ich.
Doch etwas ist jetzt anders. Jetzt liege ich um mich selbst verstreut, verteilt im Raum, winkend, schwebend, rotierend. Puzzleteile, die ich nun versuche, wieder zu sammeln. Ich finde Teile, die zusammenpassen, doch als ich fast wieder komplett bin, schlafe ich auf den übrigen Stücken ein. Ich, ein Schrotthaufen, eine Unordnung, wo sie nicht sein sollte.
Beim Aufwachen will ich mich strecken und die Federn lassen mich abermals auseinanderspringen und ich, ich springe auf mit dem, was ich noch bin und greife hastig um mich. Ich staple alles auf, bis ich schwankend und zitternd dastehe, oben und unten links und rechts, quer verschoben und verdreht, der Hals über dem Kopf.
Meine Hände in meinem Kopf, stöbernd, sie finden nichts.
Ich ziehe das weiße Blatt umher wie ein Schmetterlingsnetz, fange nichts ein als einen Schwarm weiterer weißer Blätter,
die sich falten und zerknüllen und zerreißen und mit mir sprechen.
Ich weiß nicht, was sie sagen.
Ich weiß nicht, ob sie flüstern oder schreien, denn es sind zu viele in dem Sturm aus flüsternd schreienden weißen Schmetterlingen.
Ich frage mich, in welcher Kiste ich es eingeschlossen habe, ob ich eine Kiste habe. Vielleicht finde ich eine Kiste, doch wo ist der Schlüssel? Ich frage mich, ob ich einen Schlüssel habe. Auf einmal kann ich es hören, es kommt näher und ich bin bereit, es zu empfangen und festzuhalten, es wird lauter.
Nur ein Auto auf dem grauen Asphalt unter dem Baum vor meinem Fenster.
Doch alles, was ich sehe, ist ein weißer Fetzen Papier,
der Kreise vor dem Himmel zieht
und unter dem Baum vor meinem Fenster
auf dem grauen Asphalt zur Ruhe kommt.
Und dann ist es auf einmal da. Euphorie ergreift mich und ich weiß, das ist es. Das habe ich so sehnsüchtig erwartet und gesucht.
Ich nehme einen Stift. Ein neues, weißes Blatt Papier.
Ich schreibe, ich schreibe so lange, bis meine Hand sinkt und der Stift fällt und ich dort sitze – links und rechts, oben und unten, alles am richtigen Platz.
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