Es ist immer und doch nie genug
Ich habe gefegt, staubgesaugt und Fliesen geschrubbt. Ich habe Wäsche gewaschen, getrocknet und gebügelt. Ich habe gekocht, gegessen und abgespült. Gleich kommt Johannis nach Hause, gleich werde ich ihm um den Hals fallen, ihm einen Kuss geben und seinen Mantel aufhängen. Ich werde für ihn kochen, ihm beim Essen zusehen und den Teller und das Besteck in den Geschirrspüler legen.
Er sitzt vor dem Fernseher. Die Nachrichten laufen. Es passiert so viel in der Welt, man kann beinahe nicht mithalten. Seine Ohren zucken leicht, er hört dem Sprecher intensiv zu. Es werden Fotos von Toten, Videos von Unfällen und zensierte Transkripte von Gerichtsverfahren gezeigt. Johannis legt den Kopf schief. Die Bider spiegeln sich in seinen Brillengläsern, sie interessieren ihn nicht.
Er legt die Fernsteuerung weg, die Kiste läuft noch. Er steht aus seinem Sessel auf und geht in die Küche. Ich folge ihm, ich will ihn nicht aus den Augen verlieren. Er holt ein Messer aus einer Schublade und einen Laib Brot aus einer anderen. Ich schreite schnell zu ihm hinüber, nehme ihm beides aus der Hand. Ich mache ihm ein Brot, er soll sich entspannen, aufs Bett legen. Er dreht seinen Kopf leicht in meine Richtung und lächelt, sein Lächeln ist wunderschön, seine Zähne weiß und gerade. Langsam begibt er sich zurück ins Wohnzimmer und eine Träne rinnt mir die Wange hinab.
Er ist im Bad, sein Rasiermesser ist etwas stumpf geworden, er kommt nicht gut voran. Ich nehme es ihm aus der Hand, drehe sein Gesicht zu mir, er schließt die Augen, entspannt seine Muskeln. Mein Hände zittern leicht, ein Glück, dass das Messer nicht mehr das Schärfste ist.
Johannis geht ins Schlafzimmer. Er öffnet unseren Schrank und holt seinen Schlafanzug heraus, er fühlt sich weich ung glatt an, seine rote Farbe sticht zwischen den anderen Kleidungsstücken hervor. Er zieht sein Hemd aus, seine Socken auch. Ich hebe das Pyjamaoberteil auf und versuche es ihm anzuziehen, doch er ergreift meine Hände und zieht mich an ihn heran. Er riecht nach Rasierschaum und Mundspülung, sein Körper ist weich und warm, seine Form passt sich meiner an und ich drücke meinen Kopf fest in seine Brust hinein. Mit sanftem Griff führt er mich ans Bett und legt mich hin, nimmt meine Decke und legt sie über mich, meine Zehen blicken am Ende hervor. Ich blicke zu ihm hinauf, er beugt sich hinunter, gibt mir einen sanften Kuss auf die Wange.
Mit sanfter Stimme flüstert er mir ins Ohr.
"Du hast genug getan. Ich danke dir. "
Er richtet sich auf und wendet sich seiner Hose zu. Ich berühre die Stelle an der er micht geküsst hat, sie ist feucht. Eine Träne nach der anderen kullert an meinem Gesicht hinunter und aus meiner Kehle ist ein leises Schluchzen zu hören. Ich weine leise in mich hinein und schließe meine Augen. Meine Augen, die er noch nie gesehen hat und die er nie sehen wird.
Wir danken unseren Unterstützern
Mit Unterstützung folgender Wiener Bezirke:
Für Sponsoringanfragen wenden Sie sich bitte an Margit Riepl unter margit.riepl@gmx.at
Wenn Sie "Texte. Preis für junge Literatur" unterstützen möchten, spenden Sie bitte auf folgendes Konto:
Literarische Bühnen Wien, Erste Bank IBAN: AT402011182818710800, SWIFT: GIBAATWWXXX