Es roch nach altem Gewand
Sonntag, eine kalte und dennoch erfreulich frische Luft sticht wie hundert kleine Nadeln auf meinen Wangen. Mit jedem Atemzug werde ich wacher. Heute bin ich mit Nelke unterwegs, an der Karl-Farkas-Gasse werden wir mit anderen jungen Leuten unseren alten Schramm verkaufen. Dabei hoffe ich auf eine angemessene Summe an Geld. Nelkes Freund, Joachim, wird uns dabei Gesellschaft leisten. Ein nettes Paar, die beiden. Sie sind so vertraut miteinander, sie glücklich zu sehen, macht mich glücklich und gleichzeitig verspüre ich, dass mein Herz im ungleichmäßigen Takt schlägt, es sind die Zweifeln. Wie Klumpen, verhindern sie meinen Hohlmuskel die Freiheit, aus Angst, nochmals verletzt zu werden. Ich unterdrücke dieses Gefühl der Einsamkeit und konzentriere mich auf die Kälte. Vielleicht hätte ich eine Jacke mitnehmen sollen, Pulli und Schal reicht will nicht aus, um sich 8 Stunden am selben Ort befinden zu können. Ich erwische mich nochmals beim Nagelkauen und empfange Nelkes Signale der Freude auf meinem Nacken, sie lächelt, Joachim steht vermutlich vor unserem Stand. Ich will ihn begrüßen, doch dann bin ich wie erstarrt. Meine Augen halten mich in diesem Blick fest, seine eiskalte blaue Iris und dennoch dieses Gefühl der Wärme, wenn man tief in seine Augen schaut. Joachim hat wohl einen Freund mitgebracht, Tony heißt er. Ich lerne ihn im Laufe des Tages besser kennen und stelle fest, dass ich keine Klumpen im Herzen habe, oder je gehabt habe. Mit jedem einzelnen Augenkontakt entsteht ein Augenblick, wird manchmal unterbrochen, aber doch nur, damit ein neuer entsteht. Es riecht nach altem Gewand, das fühlt sich angenehm an. Ich habe des Öfteren gedacht, man solle sich auf jeden Augenblick im Leben erinnern, aber mit jedem einzelnen Augenkontakt, der vergeht, entsteht ein neuer Augenblick. Es macht süchtig. Man will ihn anschauen, dann wieder nicht, nur um wieder den Geruch von altem Gewand nochmals zum ersten Mal spüren zu können, weil er davor gar nicht präsent gewesen ist. Ich habe gedacht, ich werde mich für immer einsperren müssen, zum Schutz meiner unverwundeten Seele, doch nach jedem einzelnen Gelächter, Witz oder Austausch schaut er mich an und ich erlange wieder diesen Geruch, obwohl ich gedacht habe, all meine Sinne oder den Sinn des Lebens verloren zu haben. Doch mit jedem neuen Augenblick, welcher vergeht und entsteht, hoffe ich auf ein Weiteres.
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