Evam und Ada ( und die Unendlichkeit)
Er geht durch die Straßen und fühlt sich wie Evam.
Es ist Nacht, Kastanienseptemberwindnacht.
Warm genug für kurze Röcke.
Kalt genug für Gänsehaut.
Kaum, ja eigentlich nie, trägt er so kurze Röcke. Nicht draußen, nicht nachts. Nur allein, vor seinem Spiegel. Verlegen.
Aber heute ist anders. Heute ist die Nacht, in der Evam sich selbst liberalisiert, sich losreißt, vom Paradies flieht.
Seine Schritte hallen durch die schmale Kopfsteinpflastergasse. Hohe Schuhe, ungewohnt.
Er steigt in den Bus, prallgefüllt, und setzt sich gegenüber von zwei heiter-getrunkenen Frauen in zerknitterten Anzügen. Alpha Ada. Lallend, lachend, augenbrauen-verziehend, schnaubend, ihm zuzwinkernd, nach Schweiß riechend. Er rutscht unruhig auf seinem Sitz herum, dem Kontakt suchenden Knie der einen ausweichend.
Unbewusst fasst er in seine Tasche, blind findet seine Hand den kalten Schlüssel. Die Kopfhörer tiefer in die Ohren schiebend, starr aus dem Fenster schauend. Ignoranz ist seine Waffe, Musik seine Zuflucht. Wortfetzen dringen durch, er dreht die Lautstärke höher.
„Was ist mit dir? ! Bist du taub?“ Stille füllt den Bus.
„Wie bitte?“ Seine Stimme verrät ihn.
Das Flackern einer Kerze im Wind.
„Ich hab dich nach deinem Namen gefragt. Und schau nicht so blöd, wir beißen ja nicht!“
Gelächter.
Unangenehm-Berührte drehen sich weg. Die Zeit dehnt sich in die Unendlichkeit, der Raum krümmt sich.
Ihre Hand schnellt nach vorne, legt ihm ihre Pranke auf die zitternden Beine. Er zuckt zurück, steht auf, stolpert zur Bustür.
Nach Luft ringend lehnt er sich zwei Gassen weiter an eine Hauswand. Schwindel. Er hat die ganze Zeit die Luft angehalten. Tiefrote Striemen zeichnen seine Handinnenfläche, erst jetzt lässt er den Schlüssel los.
Septemberwindgänsehaut.
Er geht durch die Straßen und fühlt sich wie Evam.
Plötzlich nackt, entblößt, verraten. Von sich selbst. Er war es, ja er, Evam. Hat Ada zur Verführung getrieben, sie aus Eden verbannt.
Der Apfel war zu rot, der Rock zu kurz, die Schuhe zu hoch.
Eine flüchtige Berührung, ein blöder Kommentar, weiter nichts.
Er fühlt einen inneren Riss, fühlt sich befleckt, lächerlich, eine neue Dunkelheit, eine fremde Kälte kräuselt sich in seinem Magen. Tränen kriechen seinen Hals hinauf.
Evam schluckt seine Wut, seinen Verrat hinunter. Den Verrat der Unendlichkeit.
Es gibt kein Paradies.
Er kneift die Augen zusammen, versucht zu verdrängen, aber Evam und Ada nehmen kein Ende.
Nie wieder zog er den Rock an, auch nicht allein. Evam hatte seine Scham gelernt, sein Feigenblatt gefunden.
Der Rock vor Wut zerrissen, die Erbsünde geboren.
Evam und Ada und die Unendlichkeit.
Nein, tut mir leid, natürlich.
Adam und Eva.
Adam und Eva und die Unendlichkeit.
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