Exitus
Erbarmungslos bohrt sich die Nadel in das weiß glänzende Fell. Immer war er für mich da gewesen, unzählige Male hatte ich in meiner Kindheit mein tränennasses Gesicht in sein Fell geschmiegt, mir von seiner kleinen rosa Zunge tröstend die Hand schlecken lassen. Er hat mich immer verstanden, immer getröstet. Mein größtes Leid und meine größte Freude habe ich mit ihm geteilt – er verstand mich. Immer.
Und jetzt, wo es ihm schlecht geht, er mich gebraucht hätte, kann ich nichts für ihn tun, nichts machen, als zu beobachten, wie sich die türkise Spritze erbarmungslos in sein Fell bohrt. Weiß mit braunen Sprenkeln am Rücken. Selten, hatte ich einmal gehört. Eine seltene Fellzeichnung, die wohl nun noch ein Exemplar weniger tragen würde.
Ich spüre, wie mir das Wasser in den Augen steht, möchte weinen und kann nicht, bin kurz davor und möchte nicht, möchte die Tränen zurückhalten und sehne mich doch nach dem befreienden Weinen, möchte doch nichts lieber, als meinen Schmerz nach außen zu tragen.
„Herz hatte er noch ein sehr kräftiges …“
Wie durch Watte höre ich das Ende des Satzes, ein bedrohliches Flüstern. Herz hatte er noch ein sehr kräftiges. Ich spüre, wie sich nun doch eine Träne den Weg über meine Wangen bahnt, warm und weich, meine zitternden Finger ruhen auf der weißen Pfote.
Herz hatte er noch ein sehr kräftiges. Ich möchte schreien und kann nicht, möchte weinen, die Tränen bleiben mir im Hals stecken. Seine Zunge leckt über sein Fell, seine Pfote zuckt.
Noch eine Träne löst sich aus meinem Augenwinkel, Rotz tropft aus meiner Nase, doch ich greife nach keinem Taschentuch, lasse meine Finger über seine sich leicht hebende Bauchdecke fahren. Unzählige Male hatte er die Versuche der Nachbarskinder, ihn aufzuheben, geduldig in Kauf genommen, selbst, dass mit wachsendem Alter meine Zeit für ihn immer knapper wurde, hat er mir nie übel genommen.
Ich denke daran, wie er mich jeden Abend freudig begrüßte, wenn ich kam, um ihn für die Nacht in seinen Stall zu sperren, wie er sich immer freute, mich wieder zu sehen, wenn ich mit der Schule ein paar Tage weg war. Seine Blicke, mit denen er mit mir kommunizierte.
Ein Schluchzen bahnt sich den Weg über meine Lippen, gefolgt von ein paar Tränen. Ich greife nun doch nach einem Taschentuch, starre es an, überlegend, was ich damit sollte.
Sieben Jahre lang hatte ich Hasen gehalten, nie hätte ich gedacht, dass es solch eine lange Zeitspanne werden würde. Doch auf einmal, da war es da, das Ende dieser Zeit, unvorhergesehen und überraschend. Ein Parasit im Nervensystem, Schwindel hervorrufend. Das Köpfchen hatte er zur Seite geneigt, Sitzen und Stehen wurde nahezu unmöglich. Die Medikamente halfen nichts, die Krankheit war zu fortgeschritten. Die Tierärztin beschloss, ihn von seinem Leiden zu befreien. Herz hatte er noch ein sehr kräftiges.
Immer weiter verschwindet die Nadel in seinem Fell, er zuckt, sein Brustkorb erschlafft unter meinen Fingern. Ein letzter Atemzug und dann – Stille.
Können wir noch?
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