Fall
Heute überschattet ein Gewitter die Welt. Die Luft ist dem Zerreißen nah gespannt, niemand wagt zu atmen. Kein Fünkchen wärmendes Licht ist zu sehen, nur kreischende Blitze erhellen die Stadt und legen Schatten frei, die sich unter der Wolkendecke verstecken. Sintflutartige Ströme fallen vom Himmel, holen all den Dreck hervor, der sich in den Gassen festgesetzt hat, schwarze Bäche bahnen sich einen Weg durch das Labyrinth aus Dunkelheit. Donner lassen die Gebäude erzittern, Echos aus längst vergessener Zeit.
Heute fallen die Engel vom Himmel. Sie fallen auf diese Erde nieder, Flügel brechen, Haut versengt, die heiligen Lichter über einst so ehrwürdigen Häuptern schwirren besitzerlos durch die Luft. Es regnet ihr Blut und blitzt ihre Kränze, ein grausames Schauspiel.
Heute wollen die Engel keine Engel mehr sein. Ihre Unsterblichkeit ist kein Geschenk mehr, sie ist eine Last. Sie drückt ihre durch Flügel belasteten Schultern herunter, herunter gen Erde und verleiht ihnen eine Schwere, die sie nicht tragen können, wo sie doch ihr Leben lang schwerelos waren in der Unendlichkeit des Alls. Heute wollen die Engel keine Engel mehr sein.
Heute kommen die Engel auf diese Erde nieder und reihen sich unter den Unsrigen ein.
Heute kommen die Engel auf diese Erde nieder und Blut wird ihren Körper füllen, Alkohol ihre Adern, Rauch ihre Lungen. Heute sind Engel nur Mensch, Mensch wie du und ich. Und ihre Menschlichkeit wird sie nahbar machen, nicht weniger furchteinflößend, nicht weniger göttlich, und doch menschlich. Sie werden sich einreihen, anpassen, unsere Kleidung anziehen, unsere Sprache sprechen.
Vielleicht findest du einen in einer verlassenen Gasse, Flasche in der Hand, der von Sternen und Göttlichkeit singt, seine Zunge kaum heben kann, und doch Worte von sich lässt, die dich von Grund auf erschüttern.
Vielleicht findest du einen, Fingerknöchel blutig von gewonnen Kämpfen, schweißgetränkt, Grauen in den Augen. Er geht durch die Straßen und versucht, ein wenig des einstigen Daseins als heiliger Krieger wieder zu erhalten, den Sinn zu finden, dessen Existenz ihm doch immer eingeredet wurde.
Vielleicht findest du einen, tanzend, sich selbst vergessend, unter Menschen die ihn nicht kennen, nicht verstehen und trotzdem nach dem Gleichen streben. Einen Moment lang die Last des Lebens zu vergessen, einen Moment lang nicht man selbst sein. Einen Moment nicht Sein.
Vielleicht findest du einen, eng umschlungen von Körpern, auf der Suche nach Ekstase, auf der Suche nach Verbindung, nach Gefühlen. Auf der Suche nach Liebe.
Vielleicht findest du einen im Wald, er liegt unter den Bäumen, die Hände im Schlamm versunken. Das Gesicht zu einem Lächeln verzerrt, denn Äste graben sich in seine Haut, und das Blut, so rot. Der Schmerz so spürbar. Die Existenz so real.
Vielleicht findest du einen, er steht auf dem Dach über dir, er will wieder zurück. Er breitet die Arme aus, denn nach dem Fall kommt der Aufstieg.
Oder?
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