Farbe an der Wandvon Alexandra Aigner
Das Wohnzimmerfenster, das ist zu. Verriegelt, könnte man meinen.
Und du bist allein. Schon wieder. Noch immer.
Um ehrlich zu sein, du weißt es nicht und um noch ehrlicher zu sein, es ist dir gleich.
Denn du bist allein.
Du atmest aus und irgendwann auch wieder ein. Die Zeit zwischen deinen Atemzügen zieht sich und die Farbe von den Wänden beginnt hinunter zu laufen. Mit schweren Schritten und noch schwererem Herzen stehst du auf und kochst Wasser. Die Farbe sammelt sich und fließt in großen Tropfen den Beton hinab. Du siehst nicht hin. Und der Rost vom Heizkörper bröckelt und hinterlässt bitter schmeckende Spuren alter Zeiten und du überklebst ganz schnell alle, denn alte Zeiten waren längst vorbei.
Die Wellen, die toben, toben heute und gestern gleich.
Und du bist nach wie vor allein.
Und du wartest, weil du hast nichts Besseres zu tun.
Und das Wasser beginnt zu kochen.
Der Himmel auch.
Du setzt dich an den Tisch. Den im Wohnzimmer. Gießt Tee auf. Sieben Tassen und deine.
Dann hörst du schon die Stufen zu deinem Geschoss bröckeln und knarren. Du hast Angst, das Zirbenholz könnte unter ihren stürmischen Schuhsohlen zerbrechen, weil es alt war wie du selbst. Du blickst unweigerlich zu den beiden Teetassen. Das Stampfen wird lauter.
Deine Gäste auf dem Weg.
Und mit ihnen kommt der Sturm.
Verliebte.
Er drückt sie grob gegen die Tür und mit dem Aufprall hört man es donnern. Und so wie sie beginnen zu kichern, werden sie vom prasselnden Regen übertönt. Seine Hand packt sie an der Hüfte, sie schlägt ihm ihre Krallen in den Hals. Und sie beginnen zu tanzen. Mit jeder Drehung heftigerer Wind. Sie tanzen im Zentrum eines Sturms. Sie hecheln so laut, atmen etwas Grobes ein. Der Duft von aufgewühlter Erde steigt ihnen im Stiegenhaus in die Nase und die Unstimmigkeit dieses Satzes fällt ihnen nicht einmal auf. Weil sie sich nur um den Körper neben sich scheren. Ja, weil sie verliebt sind. Der eine Knochentänzer in den nächsten. Ihre wilden Skelettmäuler klappern. Sie lachen. Wie die wilden Knochentänzer, die sie nun mal waren. Und sie können nicht aufhören zu lachen, so wie sie eine nächste Drehung machen und der Regen das Holz hinunterläuft.
Die Tür öffnetest du doch nicht, weil du ihre Schritte ohnehin hören kannst. Und ihr Lachen. Dazu musst du keine Tür aufmachen. Und du weißt, würdest du die Tür jetzt öffnen, würde niemand mehr tanzen. Und du wärst allein. Also setzt du dich wieder, lauscht dem Regen und siehst aus dem Fenster. Keine Wolken am Himmel. Aber die Luft, sie knistert. Keine Wolken. Und der Regen wird leiser, das Donnern vergeht, die Schritte verschwinden. Die Knochentänzer tanzen. Und bei dir, da ist es sonnig. Und sie sind irgendwo, wo der Regen fällt. Sie sind der Sturm, tanzen im Angesicht einer vergessenden Welt und im nächsten Moment haben sie schon nie existiert. Denn sie schreiben eine Geschichte, die von Wind und Regen davongetragen wird.
Es klopft nicht.
Du setzt dich an den Tisch und nimmst einen Schluck.
Die Wellen, die toben, toben heute und gestern gleich.
Der Tee schmeckt süß, aber nicht so süß wie sonst. Und das Rot ist irgendwie auch weniger lebendig. Und ehe du noch etwas findest, das du an dem Getränk vor dir auszusetzen vermagst, wirst du von Rascheln und Keuchen aus deinen Gedanken gezerrt.
Jemand schnaubt. Und dann hörst du es scheppern, auf der anderen Seite der Tür.
Und das Mädchen - anzugslos, weil sie nicht in einer grauen Welt leben will;
Sie fängt Feuer. Sie ertrinkt.
Sie wird nicht alt, sie bleibt ein Kind.
Und ihre Regenwasseraugen durchbohren Herzen. Sie plärrt aus einem wunden Hals, ihre Stimme zerscheppert. Splitterkehle. Und sie schreit. Bis sie die ganze Welt erreicht. Denn;
Die Freiheit brennt.
Und ihr Herz entzündet Seelen; die Flammen springen über, auf deine Tür.
Eine Seele befreit, ja, dann sind sie zu zweit. Und sie fliehen durch den Wald. Sie sind Fangenspieler. Abends singen sie dann leise Lieder, nur für die Sucher bestimmt. Und ihre Stimmen werden mehr. An der Spitze steht ein Kind. Sie singt ein Lied von Fichten und vom Tod. Von Freiheit und von Not. Sie singt nicht mehr allein. Und am Morgen steht sie vor den Anzugträgern, sie können noch so mächtig sein. Aber solange die Freiheit brennt, wird das Mädchen niemals leise sein.
Und du summst in deinem Kopf leise dieses Friedenslied, und ein paar Töne gleiten über deine trockenen Lippen. Dein Hals schnürt sich zu und du bleibst still. Du widerstehst der Versuchung, deinen Kopf gegen das von den Freiheitsflammen gewärmte Holz zu legen und gehst zurück zu deinem Tee, der wieder etwas von seiner Farbe verloren hat. Er schmeckt fad, sagst du dir.
Die Wellen, die toben, toben heute und gestern gleich.
Und von draußen hörst du die Sonne untergehen. Und du hörst, wie sich staunende Münder öffnen. Und du hörst, wie Blumen sprießen. Und du hörst, wie Sterne leuchten. Du hörst sie.
Weil sie zwischen Zeilen leben, da wo die Luft so dünn ist, als stünden sie auf dem höchsten Berg der Welt, wo es pfeift und wo sie dem tiefblauen Himmel dabei zusehen, wie der Tag zur Nacht wird und der Himmel zur See. Der Wind in ihren Gesichtern und das damit einhergehende Haarwirrwarr lässt sie erst begreifen, dass die Zeit doch nicht stehen geblieben ist. Und sie lauschen den kleinen Dingen. Den geheimen Dingen. Denen, die keiner sonst sieht. Und sie schmecken den Himmel auf ihren Zungen und strecken die Arme gen Wolken. Der Wind pfeift. Sie spüren, und du lauschst.
Aber du willst es nicht nur hören. Du willst es sehen. Doch die Türe, die bleibt zu. Weil es klopft ja nicht. Draußen im Gang kein Licht und du weißt nicht, ob da noch jemand über Dunkelheit staunt, oder ob du bereits wieder alleine bist. Und die Türe, die bleibt zu.
Und dein Gehör ist nicht mehr das, was es mal war und du setzt dich wieder, nimmst einen Schluck und du fragst dich, ob du vergessen hast, den Tee zu zuckern. Weil er nicht mehr das ist, was er mal war.
Die Wellen, die toben, toben heute und gestern gleich.
Gelockt von sanftem Schall. Von Prasseln in Andante und Mezzopiano. Durch altes Mauerwerk getrübt. So gehst du einen Schritt. Nach vor. Weil du mehr hören willst. Und gehst weiter. Bis du einmal mehr unmittelbar vor der Türe stehst. Deine von Poren übersäte Nasenspitze berührt beim Einatmen leicht das Holz. Du schließt die Augen und hältst die Luft an.
Er atmet so tief ein. Und dann schließt auch er die Augen. Seine Finger zierlich, wie sie über den Flügel gleiten. Ein zimperliches Spiel. Blaue Töne. Himmelblau. Kobaltblau. Königsblau. Blaue Töne verklingen in der Stille. Sein Blut beginnt zu kochen.
Ein roter Ton.
Das Klavier versinkt im Boden. Er spielt in orange, in blutrot. Ein sonnengelber Ton. Weil die Hoffnung auf ein Morgen hat er noch nicht lebendig begraben. Grünes Zwischenspiel. Er verirrt sich in seinem Kopf. Seine Hände werden schneller. Er läuft in Gedanken durch dunkle Wälder, Nadelbäume, das Gras ist kalt unter seiner Haut.
Ein roter Ton.
Er vergräbt sich selbst in der Erde. Er atmet nicht mehr. Seine Augen sind geschlossen. Die Töne schallen dumpf durch den Dreck. Und seine Hände werden blau. Himmelblau. Langsamer. Kobaltblau. Noch langsamer. Königsblau. Er setzt seine Krone auf. Seine blauen Finger zittern dabei. Dann steht er auf und verlässt mit geschlossenen Augen die Bühne. Erst danach wagt er es, wieder zu atmen und wieder zu sein.
Du noch immer allein. Öffnest langsam deine Augen. Und du betrachtest deine Hände, deine Finger, deine Nägel. Aber sie sind nur faltig und nicht bunt.
Die Wellen, die toben, toben heute und gestern gleich.
Und der Tee schmeckt bitter, wie du wieder nicht die Tür aufmachst. Und er, der Tee der anderen, ist tiefrot und deiner, der ist farblos. Als wäre es bloß Wasser. Aber er schmeckt bitter. Und der Dampf, der aufsteigt, verteilt sich im ganzen Raum. Rauch aus dem Türspalt. Du hörst ihn rattern. Den Zug. Und bei ihm ist immer sie.
Die Reisende, die entgleisende Zukünfte nur so belacht.
Wie es ihr Spaß macht, ins Irgendwo zu lächeln und zu sagen „Alles wird gut.“
Der Raum erstickt in Rauch. Der Himmel auch. Ein schriller Ton zerreißt jede letzte Form von Ruhe auf der anderen Seite der Wand. Und die Tore öffnen sich lautstark, verkünden die Ankunft im Hier und die Abfahrt ins Jetzt, aber deine Tür bleibt zu.
Sie sitzt schon im Zug, der Rucksack unter ihrem Sitz. Gelegentlich streift sie ihn mit dem linken Knöchel, nur um sicher zu gehen, dass er noch da ist. Das Fenster zieht an ihr vorbei und die Welt lauscht ihr gespannt. Sie dreht sich weg. Denn sie will mit der Welt nicht reden. Stattdessen quasselt und lacht sie mit der Frau, die neben ihr sitzt. "Ich? Ich fahr in den Norden. Keine Ahnung, wohin genau. Aber der Norden solls sein. Und dann in die Berge. "
Und verträumt lauscht sie dann einem jeden, der nichts zu sagen hatte. Die Welt verlor ein Kind und das Mädchen versank in Träumen.
Sie kam nie vom Norden zurück.
Doch ihre Geschichte tat es.
Denn an jenem Tag, als das Mädchen für immer verschwand, erzählten viele von einer einsamen Abenteurerin, gepackt vom Rausch des Lebens und dem Wunsch nach Freiheit.
Sie war eine Wölfin.
Sie war ungezähmt.
Sie war frei, als sie verschwand.
Er hält die Tasse in seiner Hand. Und hört das leise Rattern eines langsam davonziehenden Zuges auf rostig alten Schienen, die Spuren alter Zeiten aufwühlend. Aber alte Zeiten waren längst vorbei. Und das Mädchen längst verschwunden. Du zitterst, hast einmal mehr von deinem Tee getrunken. Abermals ein Schluck.
Der Tee schmeckt nach nichts.
Eine Träne bahnt sich ihren Weg über faltige Haut, an der die Zeit nicht spurlos vorbeigegangen ist. Und du schluchzt, den Tee stellst du wieder auf den Tisch, vergräbst das Gesicht in deinen Händen. Du weinst bitterlich.
„Du hast deine Tür nie aufgemacht.“
Die Augenbrauen so weit hochgezogen, die Lippen aufeinandergepresst, es schmerzt. Aber du siehst auf. Und die Reisende grinst dich an. Und ihr Gesicht ist verraucht und ihr Körper verwuchert.
„Warum?“
Sie fragt es, als wüsste sie die Antwort. Als stünde sie in großen Lettern auf deiner Stirn geschrieben. Sie fragt es, ohne zu fragen.
„Warum?“
Und deine Haltung ist nicht aufrecht und nicht stolz, weil dein Recht hast du verloren und deinen Stolz hast du erhängt. Du das komplette Gegenteil der Freien. Kind und Greis an einem zeitlosen Ort, an dem die Zeit nur so vorbeizieht.
Die Wellen, die toben, toben heute und gestern gleich.
„Weißt du. . . Mit der Zeit wird „Mit der Zeit“ so furchtbar leicht zu sagen. Und irgendwann sagt man nur noch irgendwann und dann hört man auf zu fragen. Und irgendwann wird dieses irgendwann zu einem irgendwer und dieser irgendwer wird zu jedem, nur nicht zu einem selbst. Und irgendwann wird dieser irgendwer irgendwie alles getan haben. Und du freust dich für irgendwen und sagst "irgendwann bin ich genauso“. Mit der Zeit, da glaubst du dann an deine Lügen. Aber du täuschst niemanden, außer dich selbst. Leiser und leiser der Gedanke der Freiheit. Und mit der Zeit vergeht er, ohne dass du es bemerkst und ehe du dich versiehst, ist dieses irgendwann zu einem nie geworden und du sitzt in deinem gemütlichen Gefängnis, das du selbst zuhause nennst, fest. Und du hast schon längst aufgehört zu fragen. Weil mit der Zeit wird "Mit der Zeit" so furchtbar leicht zu sagen.“
Deine Finger halten inne und du siehst auf. Das Zimmer leer. Dessen Wände alte Farbe haftet wie die klebrigen Reste deines Tees am Porzellan. Der Heizkörper ist weiß.
Und der Abenteuergeist hatte für dich und deine Entschuldigungen keine Zeit, und auch sonst keiner. Weil du dich in Ausreden verschüttest, während sie einfach sind. Die Geister. Die „Was wäre wenn“s. Die „Ich hätte so gerne“. Die „Wir leben um zu sein“.
Du nimmst die Tasse, trägst sie in die Küche, wo du sie unters heiße Wasser hältst. Das Porzellan presst sich unangenehm gegen deine faltige Haut. Deine Finger verbrennen. Du stehst in der Küche und wäschst ab.
Und der Tee der anderen wird kalt.
Wir danken unseren Unterstützern
Mit Unterstützung folgender Wiener Bezirke:
Für Sponsoringanfragen wenden Sie sich bitte an Margit Riepl unter margit.riepl@gmx.at
Wenn Sie "Texte. Preis für junge Literatur" unterstützen möchten, spenden Sie bitte auf folgendes Konto:
Literarische Bühnen Wien, Erste Bank IBAN: AT402011182818710800, SWIFT: GIBAATWWXXX