Farben
Alle wären da. Und sähen die ganze Pracht des anlegenden Schiffes, strahlend weiße Segel, im Kontrast zu dem tiefblauen Meer. Wenigstens das ist wahr. Die Farbe.
Ihre Hand tastet herum, findet den „zerknitterten Fetzen“. Stimmen dringen durch die Wände. Sie fährt auf. Für einen Moment huscht ein gequälter Ausdruck über ihr Gesicht, vermutlich nur der Schatten im abgedunkelten Raum. Ihre Hände, das Bild fest umklammernd. Zerknittert ist es. Und damit der Realität soviel näher, als sie es sich wünscht. Wie oft hat sie sich dort hinein geflüchtet? Hoffend, wartend, fürchtend. Es ist ekelhaft.
„Das ist ekelhaft. Zum Brechen. Ekelhaft, sage ich dir. Bleib lieber draußen“, zischt ein Mensch an der sich öffnenden Tür. Schemenhaft erkennt sie einen Mann, das hereindringende Licht umzeichnet ihn, er selbst bleibt schwarz. Das Licht geht an, widerlich den Dreck übertünchend. Sie blinzelt, muss sich erst an die grelle Helligkeit gewöhnen. „Alles raus!“, brüllt der nun sichtbare Mann aus dem Nichts.
Sie setzt sich in Bewegung, an der Tür zögert sie. „Halt“ Sie wagt es, nicht aufzuschauen, möchte nur weg aus dem Loch, weg von dem Mann. „Ich sagte: Halt!“ Gebieterisch streckt er seine dreckverkrustete Hand aus. „Gib mir das.“, sie blickt herum, umklammert das Bild nur noch mehr. „Gib mir das.“ Wegrennen. Schnell. „Gib mir dieses Ding. Jetzt. Das in deiner Hand.“, brüllt der Mann geradezu und reißt ihr das Bild aus der Hand. Sie schluchzt bitterlich, in sich zusammenfallend, er triumphiert, ein Lächeln umspielt seine Lippen.
Sie wird weitergetrieben, mit den anderen, denen alles genommen wurde. Ihnen bleibt nichts mehr. Ihre Träume wurden zerstört, ihr mageres Selbst fällt. Bodenlose Tiefen. Und doch krallt es sich an einem dünnen Ast fest. An ihrem Mut. Der nie verschwindet.
Sie blickt herum, der Mann, der sie hergebracht hat, scheint beschäftigt. Womit? Egal, sie blickt sich noch einmal um. Und rennt. Sie fühlt sich frei, könnte für immer so rennen. Ihr Atem beschleunigt sich, sie lacht euphorisch, verrückt, befreit. Das Gefühl. Sie ist in ihrem Bild. Das Meer schäumt, die Sonne strahlt, wenn auch verhalten. Und plötzlich wird es leise.
Fliehen. Drecksau, sich ihm entziehend. Gehorsam. Nein, dumme, irrationale Versuche zu fliehen. Mut. Ein Fehler. Wenn etwas gegen den Verstand läuft, ist das Dummheit. Dummheit widersteht und wird verherrlicht. Zu Mut. Er sieht sich um. Die anderen wie die Lämmer, angstverzerrte Fratzen, aber, das besänftigt ihn, niemand muckst auf. Er tritt gegen die Leiche. „Schafft das fort.“ zischt er. Er geht. Das Bild flattert in seiner Hand, die Wellen schäumen. Sie war dumm, dumm. Nicht mutig. Schritt für Schritt glättet er die Wogen seines rebellierenden Gewissens. Dass er Mut niedergeschlagen hat. Aber er war doch auch mutig? Hat er nicht ein Leben gestohlen? Seine Augen tränen voller Angst, er hört ein Geräusch. Wie ein sterbendes Tier. Mutlose Laute, qualvolle Schreie. Tiefblau und strahlend weiß. Voller Blut.
Wir danken unseren Unterstützern
Mit Unterstützung folgender Wiener Bezirke:
Für Sponsoringanfragen wenden Sie sich bitte an Margit Riepl unter margit.riepl@gmx.at
Wenn Sie "Texte. Preis für junge Literatur" unterstützen möchten, spenden Sie bitte auf folgendes Konto:
Literarische Bühnen Wien, Erste Bank IBAN: AT402011182818710800, SWIFT: GIBAATWWXXX