Farbsplitterwelt
„Farbsplitterwelt? Was ist das?“
Mit einem amüsierten Lächeln ziehst du eine Augenbraue hoch, wartest auf meine Antwort.
Die ich dir schon so oft gegeben habe.
Schon unzählige Male habe ich dir versucht zu erklären, was es damit auf sich hat, doch nie verstehst du es. Wirst es nie verstehen.
Und davon habe ich genug.
„Farbsplitterwelt ist meine Welt“, entgegne ich gespielt ruhig, während sich meine Worte langsam im Raum ausbreiten, kurz in der Luft verharren und dann wie Seifenblasen an den Wänden zerplatzen, „das ist die Welt, in die ich tauche, wenn ich schreibe. Mein Universum. Hier spielt alles nach meinen Regeln und ich kann tun und lassen, was ich will. Es ist mein Ventil.“
War das deutlich genug?
Ich blicke in dein Gesicht, hoffe so sehr auf ein verstehendes Nicken, etwas, das mir sagt, dass du es endlich eingesehen hast.
Doch meine Hoffnung zerschellt in tausend Teile, als du mich auf einmal noch verständnisloser anblickst, als ohnehin schon.
Reichte dir diese Erklärung etwa nicht?
„Und warum nennst du das Farbsplitterwelt?“, willst du wissen, das Licht des von draußen hereinströmenden Sonnenlichts spiegeln sich in deinen blassen Seelenspiegeln, während du langsam die Arme vor der Brust verschränkst.
Ich verdrehe die Augen.
So gerne möchte ich diese Diskussion beenden, habe genug davon, doch heute will ich noch so gütig sein und es dir ein letztes Mal erklären.
„Farben symbolisieren all die Gefühle, die ich beim Schreiben empfinde. Bei meinem Hobby… Oder besser gesagt, meiner Leidenschaft. Wenn meine Protagonisten einen Schicksalsschlag erleiden, weine ich mit ihnen. Wenn ihnen das größte Glück widerfährt, freue ich mich mit ihnen. Wenn sie streiten, kochen ihre Emotionen auf mich über. Es sind all diese Empfindungen… Rot für die Wut, Blau für die Trauer, Grün für die Hoffnung… Es sind alles Farben. Farben, Gefühle, die ich dabei empfinde. Und dann sind da die Splitter. Das sind Scherben oder auch Szenen aus ihren Erfahrungen. Ihr Sieg bei einem Marathon, ihre ersten Trennungen mit geliebten Menschen, ihre Freude, so viele bekannte Leute wiederzusehen… All diese Szenen sind einzelne Splitter eines Spiegels ihrer Geschichte. Zuletzt ist da die Welt. Meine Welt. Ich bestimme, in welcher Stadt sie wohnen, wer mit ihnen befreundet ist, ihre Familienverhältnisse, ihre Feindschaften… Alles. Da es eine von mir erschaffene Welt ist.“
Nun blickst du mich sprachlos an, suchst vermutlich nach Worten, doch dir fallen keine ein.
Hast du jetzt genug?
Sind wir endlich fertig?
Es macht mir nichts aus, als du dich abwendest, ein „du bist doch verrückt“ murmelst und mit schnellen Schritten den Raum verlässt.
Ich wusste doch, dass du es nicht verstehen würdest.
Dass du genug hast.
Mir geht es ganz genauso.
Und nun drehe ich mich lächelnd wieder um, öffne ein allzu bekanntes Word-Dokument und tauche ein in meine Farbsplitterwelt, treibe hinfort mit all den Farben, einzelnen Scherben in der Hand und ganz allein in meiner Welt…
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