Flaschenhals
„Aber nicht, dass der Strauß runterfällt und sich wehtut.“
„Bestimmt nicht. Komm her, ich erzähl dir mal was.“
Der Herr klopfte mit der Hand aufs Bett und der Junge setzte sich.
„Nicht mal, als ich einen Kater hatte, habe ich dem Strauß das Genick gebrochen. Da braucht’s schon mehr“, sagte der Mann.
„Das glaub ich dir nicht.“
„Musst wohl, schau’s dir an, er hat noch alle Federn.“
„Wie soll er auch nicht? Er ist ja viel zu bunt!“
„Bald nicht mehr.“
Der Bub grinste und lehnte sich zurück. Der Kopfpolster gab unter seinem Gewicht nach.
„Wo hast’s denn versteckt gehabt? Etwa in dem kühlenden Schrank?“, fragte der Junge.
„Ganz recht, im Kühlschrank! Gewitzter Bengel.“
„Da wird Mutter keine Freude haben.“
„Das weiß ich.“
„Warum tust’s dann?“
„Um die Nachtstunden zu verkürzen.“
„Dann geh doch einfach schlafen.“
„Das kann ich leider nicht.“
„Wieso?“
„Ich sorge mich zu sehr.“
„Um Mutter?“
„Um Mutter.“
Der Vater tätschelte den Jungen am Kopf und zog ihm die Bettdecke über die Beine. Sie schwiegen. Das Ticken der Uhr begleitete die Stille.
Das Fenster war gekippt und ließ die Gardinen im Takt schwingen.
„Ansonsten hat sie mir um die Zeit Kakao gemacht“, meinte der Bub.
„Willst du einen?“
„Ist nicht dasselbe.“
Der Mann erhob sich. Im Gehen richtete er seine Hose und zog die Gürtelschnalle fester, bevor er den Vorhang beiseite zog.
„Schau, bald hört es auf zu regnen.“
Eilig sprang der Knabe vom Bettrand und drückte seine Nase gegen die Scheibe.
„Vielleicht sehen wir ja den Bogen im Regen!“, sagte er.
„Vielleicht.“
„Dann schreib ich der Tante eine Grußkarte, wie schön’s ist, und gib’s der Taube mit den Briefen.“
„Eine nette Geste.“
„Oder wäre die luftige Post gescheiter?“
„Das musst du herausfinden, mein Junge.“
„Warum hilfst du mir nicht?“
„Wenn du erwachsen bist, musst du auch Entscheidungen treffen können.“
„So wie Mutter?“
„So wie Mutter“, wiederholte der Mann.
„Weißt, das ganze Reden macht mich hungrig.“
„Auf was hättest denn Lust?“
„Ich will mich im Spiegel vom Ei betrachten.“
„Na, wenn’s so ist!“
Der Vater lachte und nahm den Jungen bei der Hand. Gemeinsam gingen sie in die Küche.
Schnell brutzelte die Butter in der Pfanne und mit flinken Fingern war das Ei geknackt und landete in der Pfanne. Der Junge starrte aufs Dotter.
„Wird Mutter wiederkommen?“
„Zweifelhaft. Sie macht jetzt einen langen Urlaub.“
„Echt? Wohin sie wohl mit dem fliegenden Zeug ist.“
„Das weiß man nicht. Na los, hol’s endlich raus, sonst verbrennst es noch.“
Der Bub tat, wie es ihm geheißen wurde. Währenddessen ging der Vater zum Kühlschrank und kehrte mit einer Flasche in der Hand zurück.
„Die hast du aber fest im Griff. Musst aufpassen, sonst erwürgst du sie!“, sagte der Junge.
„Keine Sorge, die ist robuster, als man denkt. Außer man lässt sie fallen, das reicht der dann. Das geht recht schnell, nicht nur mit Flaschen.“
„Hm, aber am Boden ergibt’s sicher ein schönes Muster.“
„Wenn’s nur immer so wäre“, seufzte der Vater.
Er öffnete sie und kippte den Inhalt in den Gully.
„Warum verkürzt du heute nicht?“
„Weil du da bist.“
Wir danken unseren Unterstützern
Mit Unterstützung folgender Wiener Bezirke:
Für Sponsoringanfragen wenden Sie sich bitte an Margit Riepl unter margit.riepl@gmx.at
Wenn Sie "Texte. Preis für junge Literatur" unterstützen möchten, spenden Sie bitte auf folgendes Konto:
Literarische Bühnen Wien, Erste Bank IBAN: AT402011182818710800, SWIFT: GIBAATWWXXX