Flüchtige Blicke
Kaum merklich lasse ich mich auf den kalten Platz am Fenster gleiten. Es ist ein schlichter farbloser Tag; einer, der unscheinbar vor den Augen vorüberzieht und am schlaflosen Abend ernüchtert die Stunden reflektieren lässt. Schwerfällig lasse ich meine Tasche auf den Platz neben mir fallen. Es durchbricht die lauernde Stille. Gähnend erwäge ich einen Schluck des schwarzen billigen Espressos in meiner Hand zu trinken; entscheide mich jedoch schnaubend dagegen und blicke stattdessen lustlos hinaus aus der verdreckten Fensterscheibe. Wie durch ein Schaufenster betrachte ich die Außenwelt. Dunkel verhängt die schwere Wolkendecke den Himmel, erdrückt die hellen Farben der vorbeirauschenden Hausfassaden. Träge fließen meine Gedanken in ihren Bahnen. Mir scheint ich wage keinen Sprung, keinen einzigen Versuch eines Ausbruches aus einem grauen Leben. Wo bleiben die halsbrecherischen lebensfrohen Ideen, welche mich aus dem klebenden Netz eines eingesessen Ablaufes retten? Ein müdes Lächeln huscht über meine Lippen. Wir verlieren den Mut, wir verlieren die Kraft. Welche Nacht lag ich nicht wach und ließ mir in meinem privaten Kopfkino die Ausführungen eines erfüllten Lebens vorführen? Die eigentliche Realität betrachtend bin ich ein Träumer; gefangen in einem unendlich währenden Stau, welcher sich seit Jahren über tausende Kilometer zieht. Zäh wie Kaugummi.
Hustend reiße ich den Kopf herum und verziehe das Gesicht. Meine Kehle scheint wie ausgetrocknet nach Flüssigkeit schreiend und dennoch halte ich beharrlich dem Flehen nach dem bitteren Wasser stand. Das kann ich. Die Bahn hält an einer Haltestelle und lässt fröstelnde Menschen in das Innere huschen. Mit hochgezogenen Schultern fallen sie auf die einsamsten Plätze. Schweigend ziehen sie ihre Telefone heraus; erwecken den Anschein in vollkommen gewollte Geschäftigkeit zu versinken. Irgendwann werde ich diesen Zustand für mich beenden. Ich werde aus dem Auto steigen und über die Barrikaden der Autobahn dem Stau entfliehen. Neben uns hält sanft eine in die entgegengesetzte Richtung fahrende Bahn. Einem Zoo gleich beäugen sich die müden Seelen durch das Glas. Ich bin bemüht wegzusehen als sich plötzlich unsere Blicke kreuzen. Mir zugewandt sitzt eine junge Frau in einem braunen Mantel und einem dicken weißen Schal, welcher die Zierlichkeit ihrer Figur nur erahnen lässt. Ihre Finger sind gleichermaßen um ihren Kaffeebecher geschlungen, während ihre ruhige Miene mir einen flüchtigen Blick zuwirft. Wir sehen uns an; wir sehen uns selbst. In einer gespannten Stille flimmert die Luft vor meinen Augen. Ihre Lippen verziehen sich zaghaft zu einem süffisanten Lächeln. Sie weiß was in mir vorgeht. Schmerzlich zieht sich meine Brust zusammen. Ich will sie fragen wie sie heißt. Ich will zu ihr rennen und sie auf einen Kaffee einladen. Ich will sie kennenlernen. Doch die Bahnen würden sich gleich wieder in Gang setzen. Ich bin hin und her gerissen.
„ Warte!“
Und plötzlich tue ich es.
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