Flügelschlag
Umrundet von unzähligen Rosen und tanzenden Schmetterlingen, genoss sie die warmen Sonnenstrahlen, die ihre Haut küssten. Die Prinzessin, in deren Augen man die warmen Grüntöne eines morgendlichen Waldes erkennen konnte, nippte an ihrem heissen Tee und verbrannte sich unmittelbar an der würzigen Flüssigkeit. Ihr vergnügtes Lächeln überzeugte alle Passanten davon, dass sie ihre kostbaren Stunden nicht damit verschwenden würde, sich darüber zu beklagen. Entspannt lehnte sie sich an die Bank zurück und schloss die Lider, eine sanfte Brise ihr weiches Haar streichelnd. Die Temperatur ihres Tees würde das hege Treiben ihres Hoflebens hinauszögern, stellte sie mit einem zufriedenen Seufzer fest.
*
Loredana klappte mit zusammengebissenen Zähnen das Märchenbuch zu und warf es auf ihren Nachttisch. Hastig drehte sie die Musik herunter, schaltete ihren Herd aus und rannte in den Keller, um die Waschmaschine zu stoppen. Auf den kalten Fliesen brach sie auf die Knie -ohne jegliche Ablenkung plötzlich kraftlos- und starrte auf ihre Hände, als hätte sie vergessen, wem sie gehörten. Dachte sie wirklich, dass die Zeit langsamer vergehen würde, wenn sie all ihre Aufgaben gleichzeitig erledigte? Loredana stellte sich ihren Abend vor, nachdem jeder Punkt auf ihrer Liste abgehakt sein würde. Tief im Inneren wusste sie, dass sie aufs Sofa fallen würde. Dass sie dann feststellen würde, dass sie bereits so viel erledigt hatte und einfach müde sei. Die Minuten, die sie sich dann erlauben würde auf soziale Medien zu verbringen, würden sich schnell zu Stunden dehnen. Schliesslich würde sie an ihren Tag zurückdenken, an dem sie keine Aufgabe genossen hatte, weil sie währenddessen drei andere erledigt hatte. Sie würde sich an keines der Videos erinnern, die ihre Abendstunden gefüllt hatten.
Die eisige Kälte des Bodens drang durch die helle Leinenhose, die Loredana an diesem Sonntag trug. Als sich die junge Frau hochrappelte, fiel ihr die laute Stille auf. Wann hatte sie zuletzt einen Moment der Ruhe gehabt? Loredana erinnerte sich an ihr Frühstück auf der Terrasse und schüttelte über sich selbst den Kopf, als sich die aufgeschlagenen Hausarbeiten, das Radio und das verschlungene Essen in ihr Gedächtnis kämpften.
Die blassen Kellerwände krochen auf sie zu, wie dunkle Hände, die ihr Herz zerdrückten. Prompt warf sie ihr langes Haar zurück, wie es die Prinzessin getan hätte. Erst das Flattern eines Schmetterlings im Rosengarten -der einzige lebendige Fleck in der Asphaltwüste dieser Stadt- löste ihre letzten Fesseln. Mit einem frechen Lächeln hob sie ihr Kinn, um bloss nicht ihre Krone zu verlieren. Lebe, hörte Loredana das Beben in der tiefsten Ecke ihres Herzens und wunderte sich, ob sie die Prinzessin oder sich selbst gehört hatte.
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