Flugangst
Ich bin aufgewacht in meiner Küche gestern, mit dem Rücken auf dem Herd, hingelegt wie von Gottes Hand, wie ein Stillleben, eine kleine Banane. Ich hatte auch Flecken, blau und grün und am Rücken ein gelber, da, wo die Herdschalter reingedrückt haben. Ich bin aufgewacht wie Dornröschen, sanft und vor Allem: Alleine. Ganz still war es, fast unheimlich, bevor ich gemerkt habe, wo ich mich hingelegt zu haben schien. In einer Küche fürchtet man sich nicht. In einer Küche kocht man und spült ab und sitzt auf erhöhten Flächen wie eine Katze. Ich habe mich dann nicht gefürchtet, ich bin still liegen geblieben, habe die Schalter beim Drücken gespürt in meinem Rücken und nichts gehört und nichts gedacht, für zwei Minuten oder eine. Dann kam ein Gedanke, ein Gedanke wie ein U-Boot: Langsam auftauchend und groß und gelb. Bananengelb, gelb wie eine Banane. Der Gedanke ging so: Die Vögel sind weg, nie wieder werden die Vögel kommen. Die Vögel, das waren grausame Biester mit grauem Gefieder und weltuntergangsorangenen Perläuglein, wie sie saßen auf den Strommastkabeln und Gebäudeklippen und in den Büschen, wie sie ihre Krallen wetzten. Wie sie schrien, in meinen Schlaf hinein, wie ich aufgewacht bin jeden Morgen im Dunkeln, leise, leise haben sie gepickt an die Spiegelscheiben meines Schlafzimmerfensters. Das hat angefangen vor zwei Wochen, in der Nacht wurde der Himmel kobaltblau und die Bäume giftgrün und die Vögel sind lauter geworden als normal und irgendwie wuchtig. Es ist alles wuchtig geworden. Ich habe mich nicht nach draußen getraut. Ich habe auf dem Teppich geschlafen, weil im Bett die Fenster so nah waren. Vorgestern bin ich drei Tage wach gewesen. Ich habe mich aufgesetzt auf dem Herd nach geraumer Zeit, und der Gedanke, dass die Vögel weg waren, füllte mich aus, so dicht, bis er mir aus den Ohren geraucht kam. Vertrieb die Vögel, vielleicht. Ich bin dann zur Nachbarin gegangen, Kaffee trinken. Sie macht sich Sorgen, hat sie gesagt, und ich habe genickt. Wer nicht? Ich sicherlich schon, ich mache mir Sorgen, aber heute eine weniger. Mit dem Federvolk ist eine Sorge verschwunden. Sie macht sich solche Sorgen, hat sie gesagt, um mich, hat sie gesagt, und ich habe gestutzt. Um mich. Sie hat mich angeschaut und gemeint, du bist seit zwei Wochen nicht mehr einkaufen gegangen, da macht man sich Sorgen als Nachbarin. Ich habe mich schnell wieder verabschiedet, bin zurückgegangen in die Wohnung. Am Fenster habe ich über dem Bürokomplex gegenüber ein schwarzes V gesehen. Ich habe mich nicht erschreckt. Die Vögel sind weg. Ich bin aus der Tür und habe meine Gedanken beim Fenster gelassen, bin so schnell aus dem Gebäude, dass sie gar nicht nachkonnten. Gut ist das gewesen, Sonne auf der Nase und auf den Schultern, obwohl ich am Herd geschlafen habe an dem Tag. Vögel sind auf Strommastkabeln und Gebäudeklippen und in den Büschen gesessen, und es war alles gut, und auf einmal hat sich die Nachbarin grundlos Sorgen gemacht. Ich bin dann einkaufen gegangen.
Wir danken unseren Unterstützern
Mit Unterstützung folgender Wiener Bezirke:
Für Sponsoringanfragen wenden Sie sich bitte an Margit Riepl unter margit.riepl@gmx.at
Wenn Sie "Texte. Preis für junge Literatur" unterstützen möchten, spenden Sie bitte auf folgendes Konto:
Literarische Bühnen Wien, Erste Bank IBAN: AT402011182818710800, SWIFT: GIBAATWWXXX