Freiheit - Aber nicht im üblichen Sinn
Ich laufe und laufe. Meine Schritte fliegen nur so über den Boden. Schneller. Ich muss noch schneller werden. Aber wo will ich hin? Ehrlich gesagt weiß ich es selbst nicht! Hauptsache ich lasse alles mir Bekannte zurück. Tränen strömen aus meinen Augen, fließen meine Wangen hinunter. Regen durchnässt meine Kleidung und mein Haar klebt mir an der Stirn. Einzelne Blitze durchzucken den Nachthimmel und geben meine düstere Stimmung wieder. Ein ohrenbetäubendes Donnergrollen hallt durch den ganzen Wald und ich fange an zu zittern. Schauer laufen mir den Rücken hinunter und es schüttelt mich jedes Mal, wenn ich daran denke, was geschehen ist. Immer wieder falle ich, schürfe mir meine Knie und Hände auf. Doch ich schaffe es, mich jedes Mal wieder aufzurappeln und weiterzulaufen. Mein Atem geht flach, langsamer werde ich trotzdem nicht.
Wovor laufe ich eigentlich davon? Vor meinem alten Leben, meiner alten Welt vermutlich. Am liebsten würde ich noch einmal von vorne beginnen. Mein Leben von vorne beginnen! An einem Ort, an dem mich niemand kennt, an dem ich einen neuen ersten Eindruck hinterlassen kann, an dem mir niemand mitleidige Blicke zuwirft. Ich will nicht mehr die Person sein, die von allen nur ausgelacht und über die immer heimlich getratscht wird. Ja, meine Mutter ist tot und mein Vater ist vor zwei Jahren verschwunden. Aber was ändert das an der Person, die ich bin? Ich bin immer noch dasselbe Mädchen wie früher, oder nicht? Habe ich mich so stark verändert, nach dem Verschwinden meines Vaters? Ich weiß es nicht…
Der Waldweg, dem ich bis jetzt gefolgt bin, führt mich zu einer Weggabelung, aber ich entschließe mich, keinem bestimmten Weg zu folgen, sondern haste einfach mitten durch den Wald. Keuchend springe ich über kleinere Baumstämme und Sträucher, die meinen Weg kreuzen. Ich merke, wie sich langsam auch meine letzten Kraftreserven dem Ende zuneigen. Erschöpft sinke ich auf den nassen, kalten Waldboden. Suche mir in der Finsternis einen Unterschlupf in dem ich die restliche Nacht verbringen kann, ohne zu erfrieren. Da, der Umriss von einem Felsen! Vorsichtig wanke ich auf ihn zu und ertaste eine noch trockene Stelle. Eine Einkerbung, groß genug um einem Menschen wie mir einen halbwegs trockenen Platz zum Schlafen zu bieten. Ich lege mich hinein und versuche es mir so gemütlich wie nur irgendwie möglich zu machen.
Es dauert nicht lange, dann fallen mir auch schon die Augen zu. Zum allerletzten Mal sehe ich noch meine ganze Vergangenheit an mir vorüberziehen, dann habe ich genug und lasse los. Vertreibe meine alten Erinnerungen, die ich derartig hasse, aus meinem Kopf, bis keine einzige mehr davon übrig ist. Mein ganzes früheres Leben ist ausgelöscht. Keiner wird nach mir suchen, denn es gibt niemanden, der sich um mich Sorgen machen würde. Genau genommen gab es auch noch nie jemanden. Jetzt habe ich meinen so lange ersehnten Neuanfang und darüber freue ich mich! Ich fühle mich frei. So frei, wie nie zuvor.
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