Fremd sein
Ich habe genug. Genug davon, hier geboren worden zu sein und trotzdem als fremd abgestempelt zu werden… Genug davon, meinen Namen falsch aussprechen zu müssen, damit ihn hier Lebende leichter verstehen oder schreiben können. . .
Genug von den Blicken, die ich spüre, wenn ich in einer Gruppe hier Lebender meinen Nachnamen nenne. . . Genug davon, dass bei der Visumsbeantragung mit mir gesprochen wird, als wäre ich psychisch zurückgeblieben…
Genug davon, dass es mir übel genommen wird, das Land, woher ich stamme, als Heimat zu sehen, obwohl ich hier lebe. . . Genug davon, dass ich fast gezwungen werde, das Land hier als Zuhause zu sehen, obwohl ich es nicht als solches empfinde. . .
Genug von dem Leben zwischen zwei Ländern, zwei Mentalitäten… Genug davon, in beiden als fremd gesehen zu werden. . . Zuhause als fremd und hier genauso. . .
Genug davon, dass jüngere Generationen, die hier geboren werden, ihre Muttersprache fast nicht mehr sprechen. . . Genug davon, dass so viele Menschen ihre Wurzeln vergessen und nie wieder in die Heimat reisen… Genug von den Menschen, die ihr Herkunftsland verleugnen, in der Hoffnung, dass sie somit bessere Jobchancen haben. . .
Genug davon, dass ältere Generationen, die hier ihr Leben lang gearbeitet haben, zum Staatskapital beigetragen haben, beschimpft und von oben herab angesehen werden, wenn sie ein Wort nicht korrekt aussprechen. . . Genug davon, dass schlechtes Deutsch von mir erwartet wird, sobald jemand meinen Nachnamen hört… Genug von der Aussage „wenn’s dir hier nicht gefällt, dann geh doch zurück“ … wohin zurück?
Ich habe genug, mich rechtfertigen zu müssen, wenn ich so gut wie alle meine Ferien zuhause verbringe. . . „Du fährst SCHON WIEDER runter?“ … Wohin soll ich denn, wenn nicht zu meiner Familie, meinen Freunden, meinem Haus, meinem Garten, meinen Haustieren… dort ist alles meins – dort ist daheim.
Ich habe genug, kann es jedoch nicht erklären… Ich habe genug, kann es aber nicht ändern – das Leben als Fremder in beiden Ländern…
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