Fremde Welt
Ausbürgerung. Es war ein Wort, das ihn nicht mehr losließ. Ein Begriff, der schon seit geraumer Zeit an ihm nagte, sich in seinem Kopf eingenistet hatte. Ein Wort, dessen Bedeutung ihm genauso fremd war wie sein Klang. Er versuchte es auszusprechen, hielt sich aber im nächsten Moment schockiert die Hand vor den Mund. Bei ihm klang es so falsch. Das "r" war viel zu langgezogen und die Melodie des Wortes kam aus seinem Mund völlig verzerrt. Resigniert schüttelte er den Kopf über sich selbst. Die Stimme der Pflegerin war belegt gewesen, als sie es ihrem Kollegen zugeflüstert hatte, und ihr Blick war an ihm vorbeigehuscht, so als würde sie es nicht wagen, ihn anzusehen. Das Wort konnte nichts Gutes bedeuten, so viel war er sich im Klaren. Generell kam ihm die Tatsache, dass alle in seiner Gegenwart flüsterten, paradox vor, wo er doch den Sinn ihrer Worte nicht begreifen konnte. Der Rollstuhl quietschte verächtlich, als er ihn in Richtung Türe schob. Dass er sein Zimmer jederzeit verlassen konnte, war ein Luxus, den er zu schätzen hatte. Es war ein kleines Stück Freiheit, das er sich bewahrt hatte. Eines, das die Wenigsten hier besaßen. Die Deckenlampe spendete nur spärlich Licht, doch es reichte aus, um sich zu orientieren. Mit einer schwungvollen Bewegung, die er angesichts des stechenden Schmerzes in seinem Handgelenk sofort wieder bereute, wendete er den Rollstuhl und fuhr den Gang entlang. Der Weg zum Aufenthaltsraum war kein weiter, und dennoch kam es ihm wie eine Ewigkeit vor, bis er die weiße Tür endlich erreicht und aufgedrückt hatte. Ein eigenartiger Geruch aus Desinfektionsmittel und etwas, das er beim besten Willen nicht benennen konnte, schlug ihm sofort entgegen. Es war ein merkwürdiges Gefühl hier zu sein. Wie eine fremde Welt, die er unbefugt betrat. Der Raum war quadratisch, mit runden Tischen, gepolsterten Stühlen und bunten Bildern an der Wand. Bis auf den beißenden Gestank gab es nichts, das an eine Klinik erinnerte. Vielleicht war das der Grund, warum er sich so oft hier aufhielt. Vergessen wo man war und weshalb, war ein erleichterndes Gefühl. Als würde eine Last, die jahrelang schwer auf einem gelegen hatte, einfach abfallen. Einer der Pfleger lächelte ihm freundlich, wenn auch etwas unsicher entgegen, ehe er ihn zu seinem üblichen Platz vor dem Fernseher schob. Eine hübsche Moderatorin lächelte ihm daraus entgegen, während sie ihm in fremder Sprache die Nachrichten berichtete. Obwohl er das Gesagte nicht verstand, sprachen die Bilder Bände. Aufstände, Politiker, die sich um nichts anderes als ihr eigenes Wohlergehen zu kümmern schienen und Umweltkatastrophen. Eine Nachricht war schlechter als die andere, und unwillkürlich fragte er sich, was ihn wohl am wahrscheinlichsten das Leben kosten würde. Der Krieg in seinem Land, in das er bald zurückgeschickt werden würde, oder doch eine Naturgewalt, die selbst den Krieg in den Schatten stellte? Was auch immer es war, es würde nicht mehr lange auf sich warten lassen.
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