Fräulein Miron und die Hinrichtung der Gerechtigkeit
„Fräulein Miron, Sie werden der Hexerei bezichtigt. Was haben Sie zu Ihrer Verteidigung zu sagen?“ Der Richter warf einen herablassenden Blick auf die vor ihm kniende Frau. Ihre Hände zitterten leicht doch ihre Augen zeigten keine Anzeichen von Tränen, keine Spur der Reue.
„Denken Sie nicht, ich würde Magie nutzen, um diesem abscheulichen Schauprozess zu entkommen, wenn ich ihr denn mächtig wäre, mein werter Herr?“
Ihr war das ihr drohende Schicksal bewusst und sie schüttelte den Kopf darüber, dass sich der Richter überhaupt die Mühe zu machte, ihr und all diesen dreckigen Schaulustigen vorzuspielen, sie hätte eine Chance auf Leben. Die Guillotine war stets in ihrem Blickfeld. Es war ein widerliches Schauspiel und ihre Hinrichtung die Attraktion. Diese sogenannte Gerechtigkeit war nicht mehr als eine Lüge - ein Versuch der Rechtfertigung für den unbegründeten Mord jener, die selbstständig denken konnten.
„Ich bin mir keiner Schuld bewusst, sehr wohl jedoch meines Todesurteils. Die Unglaubhaftigkeit ihrer sogenannten Gerechtigkeit ist nicht zu bestreiten.“ Ihre Worte waren hart wie Stein und kalt wie Eis, doch ihre Seele brannte wie Feuer. Es war der Hass auf diese Welt und ihre Menschen und die ernüchternde, aussichtlose Zukunft, welche sie diesen zu verdanken hatte.
„Sie sind wohl nicht bei Sinnen! Vom Teufel besessen muss man sein, um solch‘ schmutzige Worte gegen die Gerechtigkeit im Namen Gottes, im Namen der Gemeinschaft, zu wenden!“ Diese Aussage brachte die angeklagte Frau zum Lachen, der Ironie wegen. Sie richtete ihren Blick himmelwärts, in die grimmigen Augen des Richters. „Oh, lieber wäre ich vom Teufel besessen als von einem Wahn wie dem Ihren! Lieber lasse ich mich hier und jetzt töten als weiter in einer Welt zu leben, wo Lügen als die Wahrheit gepriesen werden! Nur zu, enthauptet mich!“
„Schuldig!“, verkündete der Richter lautstark.
Ein zustimmendes Grölen der Menge befeuerte den Henkersmeister, die Klinge der Guillotine zu überprüfen und die Frau zu der Tötungskonstruktion zu geleiten. Das Volk wollte den Kopf der Hexe rollen sehen, kein Zweifel.
Sie selbst jedoch wurde sich erst bewusst, was ihr bevorstand. Die endgültige Schuldigsprechung machte ihren Tod zur unausweichlich nächsten Folge. Ihr kamen Zweifel und sie bereute ihre Worte. Wäre es besser gewesen, zu schweigen? Wäre sie weniger ehrlich gewesen, hätte nicht so Hals über Kopf ihre Gedanken ausgesprochen, hätte sie ihren Kopf vielleicht auf dem Hals behalten können.
Doch es war zu spät. Das Beil fiel. Fräulein Mirons Kopf rollte auf den Boden. Ein aufgebrachter Junge trat danach, kickte ihn bis zu den Füßen der toten Hexe. Ihr größtes Verbrechen waren ehrliche Worte gewesen, sie waren ihr Todesurteil – doch bis zur heutigen Zeit gibt es Menschen, die lieber den Lügen glauben, als der teils grausamen Wahrheit ins Auge zu sehen.
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