Das Vorsprechen
Es regnet in Wien. Eine graue Großstadt. Ich haste über einen Platz auf ein Gebäude mit prunkvoller Fassade und einem riesigen Eingangsportal zu. Durch das werde ich nicht gehen, mein Weg führt durch einen unscheinbaren Seiteneingang. Während meine Hosenbeine immer nasser werden und Regentropfen auf meinen Schirm prasseln, gehe ich im Kopf noch einmal meinen Text durch. Keine Silbe verschlucken, deutlich sprechen und dabei authentisch sein. Das ist das allerhöchste Gebot. Aber was weiß ich schon vom Schauspielen, die letzten Male konnte ich nie überzeugen. Trotzdem bin ich mir sicher, dass das heutige Vorsprechen meine große Chance ist.
Als ich die Türe aufstoße und ins Trockene steige überkommen mich für einen kurzen Moment Zweifel. Soll ich mich wirklich ins Scheinwerferlicht wagen? Mich vielleicht schrecklich blamieren? Oder meine vergeblichen Bemühungen endlich aufgeben? Aber was solls, der Text sitzt und außerdem bin ich insgeheim von meinem Talent überzeugt. Die vielen Stunden vorm Spiegel allein in meinem Zimmer müssen sich doch gelohnt haben. Also stelle ich meinen Regenschirm in den Schirmständer und steuere selbstbewusst auf die nächste Türe zu. Als ich sie öffne, drehen sich ungefähr fünfzehn Köpfe in meine Richtung. Ich versuche, die Aufmerksamkeit zu genießen und nachdem ich mich bei einer Sekretärin gemeldet habe, setze ich mich zu meinen wartenden Konkurrenten dazu. Ich habe wenig Zeit, mich von der angespannten Atmosphäre beunruhigen zu lassen, denn nach kurzer Zeit werde ich aufgerufen. Noch einmal ein Funken Unsicherheit. Ich lasse mir nichts anmerken.
Ein dunkler, enger Gang, dann grelles Scheinwerferlicht. Jetzt ist es zu spät, sich Sorgen zu machen. Ich fange an. Es fühlt sich gut an. Diesmal wird das was. Ich bin völlig in meinem Element. Da gehen die Scheinwerfer aus. „Vielen Dank“, höre ich eine tiefe Stimme anfangen, „das ist genug.“ Erwartungsvoll blicke ich in den Zuschauerraum hinunter. Es dauert ein bisschen, bis sich meine Augen wieder an das weniger starke Licht gewöhnt haben. Dort sitzen ein Mann und zwei Frauen, von denen nur noch er mich ansieht. Die beiden Frauen haben sich schon scheinbar wichtigeren Dingen zugewendet. „Sie sind auf dem richtigen Weg, machen Sie weiter so. Wir müssen Sie aber bitten, die Bühne zu verlassen.“ Das wars. Eine höfliche Floskel, um mir zu sagen, dass ich nicht gut genug bin. Kurz stehe ich noch stumm da. Geh bitte endlich, besser wird´s nicht. Ich gehe. Draußen kommt mir die Stadt noch ein kleines bisschen grauer vor, obwohl die Sonne durch die Wolken blinzelt. Trotzdem werde ich wieder kommen und wieder gehen. So ist das einfach.
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