Geh! Bitte.
Klack. Klack. Klack. Höre ich das Geräusch meiner Schritte über den alten Granitboden hallen. Es ist sieben Minuten nach Elf. Die Sonne ist vor Stunden untergegangen und bis eben, als ich das Stiegenhaus betrat, war ich – nur durch einen dünnen Pulli geschützt – der eisigen Kälte der Nacht ausgesetzt. Nun da die Kälte langsam durchs warme Stiegenhaus aus meinen Körper entweicht, erinnere ich mich an die stickige Hitze der Party, auf der ich soeben war. Das Gefühl zu schlechter Musik zu tanzen, umgeben von sturzbetrunkenen Jugendlichen, die es geschafft haben ihre Probleme für die Nacht zu vergessen. Einen Zustand, den ich mir wünsche, aber nie erreichen werde, da ich niemals Alkohol anrühren werde, denn ich weiß was das Zeug anrichten kann. Als ich vor der Wohnungstür ankomme, stocke ich kurz, atme noch einmal tief durch und schließe auf. Langsam öffne ich die Tür in der Hoffnung, dass er schon vor dem Fernseher eingeschlafen ist. „Wo warst du so lange?“ Meine Hoffnung löst sich sofort in die mir so bekannte Angst auf. Ich schaue ihn an. Er steht gerade mühsam vom ursprünglich roten aber mit Flecken besetzten Sofa auf. An seinen Bewegungen, den herumliegenden Bierflaschen und dem Gestank erkenne ich, dass er diesen Abend sogar noch mehr getrunken hat als sonst. „Komm her!“ ruft er und während ich ihm langsam an ihn herantrete, schaue ich in die angsterfüllten Augen meiner Mutter. Sie sitzt auf einem Sessel neben dem Sofa und häkelt meinem Bruder eine Wollmütze. Ich schaffe es kaum Mitleid für diese Frau aufzubringen und das, obwohl ich am besten weiß, wie schrecklich ihr Leben ist. Doch diese Frau hat nie für uns gekämpft, sich ihm nie widersetzt. Vermutlich kann sie es nicht. Als ich vor ihm ankomme murmelt sie mir zu, dass mein Bruder schon schlafe und verlässt, dann den Raum. Ich bin erleichtert. Das ist der Grund, warum ich erst so spät nach Hause gekommen bin. Er soll das nicht nochmal mitansehen müssen. „Was machst du schon wieder so spät draußen! Habe ich dir immer noch keinen Respekt beigebracht, du undankbares Gschrapp?“. Er holt mit der Hand aus. Ich schließe die Augen und beiße die Zähne zusammen. Die Watsche trifft mich etwas höher als erwartet. Ich spüre den Ehering an meiner Schläfe und Tränen treten in meine Augen, doch ich will ihm nicht zeigen, wie sehr er mich verletzt. „So“, sagt er, „Ich brauch jetzt eine Zigarette und du wirst dich nicht vom Fleck rühren. Ich zeig dir schon noch was Respekt ist“. Kaum, dass er auf den schmalen Balkon getreten ist, mir den Rücken zugewandt hat und ich mich zu sammeln versuche, kommt meine Mutter mit einer schwarzen Tasche rein. Hinter ihr steht mein kleiner – anscheinend vom Lärm aufgewachter – Bruder. Sie reicht mir die Tasche. „Geh! Bitte. Er tut dir sonst noch was an“. Ich nicke stumm, werfe einen letzten Blick auf meinen Bruder, den ich eigentlich auf keinen Fall allein lassen will, aber ich muss. Und ich trete in die kalte Nacht heraus.
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