Verspätung
Es ist 5: 59: 41 Uhr.
Genau in 19 Sekunden gibt mein digitaler Wecker eine anfangs leise, jedoch immer lauter werdende Melodie von sich. Dieser Satz dauerte 12 Sekunden lang und nach sieben Sekunden tat er genau das. Gerade spielt es den Song „Walking on Sunshine“, nun wird er lauter und kurz bevor der Refrain beginnt, schalte ich den Wecker aus.
Alles war nun wieder stumm und friedlich. Wie jeden Tag verrichtete ich zuerst fünf Minuten meine entspannenden Yoga-Übungen. Anschließend putzte ich mir meine etwas schief gewachsenen Zähne drei Minuten und wusch mir mein Gesicht 30 Sekunden lang. Nach insgesamt 13 Minuten und 30 Sekunden schritt ich durch die morsche Eichenholztür meines Wohnhauses. Mit dem gelb-blau gefärbten Autobus fuhr ich, wegen des gestressten Busfahrers, heute nur 17 Minuten und 26 Sekunden lang. Vier Minuten früher als sonst, erreichte ich das Bürogebäude mit den roten Fenstern. Doch neun Bauarbeiter werkten gerade an der Fassade des Gebäudes und man konnte nur schwer die Eingangstür erkennen. Langsamen Schrittes ging ich auf die Tür zu, doch sie war verschlossen. Einer der neun Arbeiter, wobei nun nur mehr acht arbeiteten, sagte mir, dass das Büro in den Nachbarsort verlegt wurde. „Und wie soll ich dort hingelangen?“, fragte ich laut. Als er mit seinem Zeigefinger auf den gelb-blau gefärbten Bus, mit dem gestressten Fahrer zeigte, rannte ich los. Gerade rechtzeitig erreichte ich den verärgerten Mann und stieg ein.
Nach zwei Minuten Verspätung kam ich geschafft im neuen Büro an. Schnell Richtung Treppe gehend stoß ich mit einer Kollegin zusammen. Plötzlich war mein Brustkorb heiß und ich schaute verwundert auf mein heuschreckengrünes Hemd. Dies hatte nun nacktschneckenbraune Flecken. Mit großen Augen sah mich die Frau mit der leeren Kaffeetasse an, doch holte sofort Tücher her. Letztendlich durchquerte ich mein Büro nach drei Minuten und 58 Sekunden mit einem grün-braunem Hemd und schweißdurchnässtem Haar. Verärgert startete ich mit sieben Minuten und 25 Sekunden Verspätung meine alltägliche Routine. Nachdem ich 54 Rechnungen verschickt hatte, wollte ich zwei wichtige Formulare ausdrucken. Am Druckerautomaten reihte ich mich als sechster Mitarbeiter ein. Um 12: 03Uhr, nach elf Minuten Wartezeit, war ich an der Reihe. Gerade als ich auf „Start“ drückte, leuchtete ein alarmierendes Kästchen auf. „Die Druckerpatronen sind leer, bitte füllen Sie nach.“ „Geh bitte! Ihr kennt`s mi gern hob`n!“ Verwundert über die laute Aussage, sahen mich alle im ganzen Stock an. Wodurch ich verärgert fortfuhr: „Die Druckerpatrone is` la! Wos hob i eich doa? !“ Kurz geschockt über den sonst so stillen Mann mit dem heuschreckengrünen Hemd, der sonst nie zu spät kommt und immer Ruhe bewahrt, fielen plötzlich alle in lautes Gelächter.
Und genau nach einer Zehntelsekunde lachte ich auch mit.
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