Geh bitte! Geh, bitte. - Eine Geschichte über eine Oma im Clownkostüm, eine bunt gekleidete Fee und die Schönheit der Gegenwart.
„Geh, bitte“, sagte ich leise.
„Geh bitte! Ich bin doch dein bester Freund“, sagte die Zukunft, die mir in diesem Traum in der Gestalt einer alten Frau im Clownkostüm erschien. Ich saß am Boden gegen eine Wand gelehnt und fühlte kalte, längst vergossene Tränen auf meinen nun feuchten Wangen. Ich hebte meinen Kopf ein wenig und sah, dass die Zukunft und ich in einem großen, leeren Raum standen. Naja, ich saß. Die alte Dame im Clown-Kostüm stand oder besser gesagt balancierte auf einem Bein. 7 Sekunden auf dem linken. Dann 7 Sekunden auf dem rechten. Dann wieder 7 Sekunden auf dem linken und so weiter. Man könnte glauben, sie wäre ein unschlüssiger Flamingo. Die Umgebung war so blendend weiß, dass es aussah als würden wir in der Luft schweben. „Du bist nicht mein bester Freund.“, presste ich heraus. Meine Stimme fühlte sich abgenutzt an. Als hätte ich 3 Tage lang geweint und wäre anschließend auf ein Rock-Konzert gegangen. Hatte ich das etwa getan? Mein Kopf war leer. Ungefähr so leer wie bei einer Mathe Schularbeit. „Aber klar doch, du denkst oft an mich und ich bin immer bei dir.“ Das stimmte. Immer bei mir. In meinen Gedanken und jetzt. . . auch in meinen Träumen? ? In dem Moment begann die Zukunft langsam auf einem Bein auf mich zuzuhüpfen. Hüpf. Hüpf. Hüpf. Stop! Das musste aufhören. Wo ist mein kleiner nerviger Bruder, der mich sonst jede Nacht aufweckt, wenn man ihn braucht. „STOP!“ Oh. Ich hatte meine Stimme wieder gefunden. „Ich denke nicht nur an die Zukunft, ich denke auch an die Vergangenheit.“ Ha! Kontere mal auf DAS, Clown-Oma. Doch genau in dem Augenblick, in dem ich das Wort Vergangenheit aussprach, löste sich die Zukunft in Luft auf. Nur das Clownkostüm blieb zurück und lag nun einige Meter von mir entfernt.
Da schmolz der weiße Raum und statt auf dem harten, kalten Boden saß ich nun auf einer grünen Wiese, die mit gelben Butter- und roten Mohnblumen übersät war. Über mir strahlte der blaue Himmel. Da bemerkte ich, dass ungefähr an der Stelle, an der zuvor das Clownkostüm zurückgeblieben war, nun ein feenhaftes Mädchen saß. Obwohl sie so alt wie ich wirkte, waren ihre Haare weiß und in ihren Augen lag eine tiefe Ruhe und Weisheit, die ganz im Kontrast zu ihrer bunten und verspielten Kleidung stand. „Ich bin die Vergangenheit. Ich bin das was war und noch immer ist, denn ich bilde die Basis für alle gegenwärtigen Geschehnisse.“ Ich starrte sie verständnislos an. „Okay… W-was genau-“, stammelte ich, doch genau in dem Moment fing es an zu regnen und die Fee-rgangenheit verwandelte sich in eine Pfütze. Denn was war, ist vergangen. Doch die Erinnerung, die Pfütze, bleibt.
Als ich meine Augen wieder öffnete, war ich in meinem Bett. Neben mir schlief mein 4-jähriger Bruder friedlich. Er hatte sich wohl entschieden mich nicht zu wecken und stattdessen einfach unter die Decke zu schlüpfen. Ich schaute aus meinem Fenster und sah den Kirschbaum im Glanz des Mondes stehen. Die Schönheit der Gegenwart. So unbedeutsam. So vergänglich. Geh bitte.
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