Geh bitte Minus Plus
„Geh bitte“, raunt die Amtsangestellte und knallt Alisha die Schulbewerbung auf den Tisch. „Wir haben Sie so gut integriert als Haushaltshilfe, wieso wollen Sie auf einmal in die Schule? Hat Sie ihr Mann verlassen?“ Alisha starrt ihr Gegenüber fragend an, was sollen diese gemeinen Bemerkungen? „Nein, ich habe und hatte keinen Mann, ich bin 17 und würde gern meine Matura machen.“
Konsterniert über die pointierte und fast akzentfreie Aussage meint die Mitarbeiterin, dass sie sich darum kümmern werde.
Alisha verlässt das Sozialamt und begibt sich in Richtung U-Bahn. In der Spiegelung der Schaufenster sieht sie ihren bunten Schleier im Wind tanzen. Sie ist froh, dass sie mit ihrer Familie nach den verheerenden Bränden in der Türkei bei ihren Verwandten in Wien untergekommen ist. Trotz der demütigenden Begegnung vorhin spürt sie Hoffnung in sich aufkeimen.
In der Siedlung kommt ihr ein Mann entgegen, der ihr ein „Geh bitte, scho wieda so a neucha Murl im Gemeindebau“ zuwirft. Alisha reagiert nicht darauf.
Als sie die Wohnungstür aufsperrt, strahlen sie die zwei dunkel leuchtenden Augenpaare ihrer Brüder an. „Günün nasוldו?“, fragt Ibo auf Türkisch. „Das heißt ‚Wie war dein Tag? ‘ – Sprich’s nach und merk es dir!“
Am späteren Nachmittag trifft sich Alisha mit ihrer Freundin Yasmin, die in der gleichen Anlage wohnt. „Geh bitte, was willst mit Matura lan? Denkst auch Alman!“
Diese Aussage stimmt Alisha nachdenklich. Abends liegt sie schlaflos im Bett: Die Schatten an der Wand machen ihr ein wenig Angst. Auf einmal hört sie Äste knirschen. Sie zuckt zusammen. Feuer? „Feuer, Feuer!“ Lodernde Flammen, Schreie, der Geruch verbrannter Haut. Alisha zieht die Decke über den Kopf.
Ein Tag vergeht, zwei Tage, drei - nach einer Woche leuchtet auf dem Handy endlich die erlösende E-Mail auf: „Wir bitten Sie zu uns ins Direktorat…“ Alisha macht einen Freudensprung. „Anne, Baba, kommt!“
Am selben Tag macht sich die junge Frau auf den Weg. Sie bewundert die hohen Räume, die ausgestellten Kunstwerke und Preise der Schüler. Alishas Hände sind schweißnass: Angst. Sie denkt an die nette alte Dame, bei der sie als Haushaltshilfe gearbeitet hat: „Geh bitte, des mochst du mit links, a gscheids Madl wia du!“
Der freundliche Sekretär fragt Alisha nach ihrem Termin. Er sieht ihr Zittern und findet aufmunternde Worte: „Geh bitte, nur keine Aufregung; Ihre Bewerbung is klass! Links zur Direktorin!“
Unendlich glücklich verlässt Alisha die Schule, sie liest sich noch einmal das Blatt durch, das sie vor sich hält: „Anmeldebestätigung von Alisha T. am GRG…“. Ihre Hände zittern, aber diesmal vor Freude. Da spürt sie eine Hand auf ihre Schulter klopfen. Es ist das Mädchen, das sie am Gang besonders lieb angelächelt hat. „Geh bitte, wir ham gewusst, dass du des schaffst, willkommen an unsrer Schule!“
Alishas neue Kollegen geben ihr einen großen und wohlverdienten Applaus.
Sie denkt bei sich: „Geh bitte, starke Leistung. Ich bin angekommen.“
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