Geh bitte…nicht!
„Bleib stehen!“, rief sie mir hinterher, doch ich dachte nicht im Geringsten daran und beschleunigte mein Tempo. Der nasse Sand drang in meine abgenutzten Turnschuhe. Ich wollte sie am liebsten nie wieder sehen, da nahm ich sogar das in Kauf. Nie wieder wollte ich ihre schrille, nervige Stimme hören, nie wieder wollte ich irgendetwas mit ihr zu tun haben. Meine Beine wurden mit der Zeit lahm, trotzdem lief ich weiter den Strand entlang Richtung Osten. Normalerweise beruhigte mich das Wellenrauschen, aber heute hatte es keinerlei Wirkung auf mich. Mit Schrecken stellte ich fest, dass sie näher kam.
„Lass uns reden, bitte“, keuchte sie.
„Ich spreche nicht mit Leuten, die mich seit Wochen hintergangen und belogen haben!“ Meine Worte schienen sie nicht zu berühren. Mittlerweile war ich stehen geblieben.
„Das stimmt nicht. Hör mir doch zu und ich erkläre dir alles!“
„Ich will nichts mehr hören! Geh einfach.“ Sie bewegte sich keinen Millimeter vom Fleck, was mich noch rasender machte.
„Verschwinde!“, schrie ich und endlich tat sie es auch. Die Wellen brachen laut, als sie wütend davon ging.
Ich würde alles dafür geben, um es rückgängig zu machen. Sogar mein Leben. Ihr Leben gegen meins. Es wäre mehr als fair. Sie war ein so liebenswerter Mensch und ich habe ihr schlimme Dinge unterstellt, die am Ende nicht mal wahr waren. Jeder meint, es sei gar nicht meine Schuld, sondern ein Unfall gewesen. Aber natürlich ist es meine Schuld. Wenn ich sie nicht so angeschrien hätte, wäre sie auf dem Heimweg nicht kopflos über die Straße und vor ein Auto gelaufen. Dann wäre sie jetzt nicht tot.
Selbst nach ganzen drei Jahren komme ich noch immer jeden Nachmittag an diese Stelle, an der ich sie zum letzten Mal gesehen habe. Dabei weiß ich gar nicht, warum. Es hilft mir nicht, das Ereignis zu verarbeiten. Im Gegenteil, dadurch werden mein Schmerz und meine Selbstverachtung nur noch größer. Egal wie viel ich trauere, ob ich mich selbst hasse oder mir das Leben nehmen will, nichts davon bringt sie wieder zurück.
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