"Geht's no? "
„Geht’s no?“ höre ich meinen Vater fragen, während er mir wieder auf die Beine hilft. Ich bin beim Wandern hingefallen. „Imma!“, schreit mein 8 jähriges Ich und läuft weiter.
Ein Mountainbiker rast den Berg hinunter. „Sehr gefährlich unterwegs“, denk ich mir noch. Als er dann an uns vorbeifährt und der Wanderweg staubt, ruft meine Mutter: „Geht’s no?“
„Geht no ana?“ fragt mich meine Freundin und streckt mit den nächsten Shot entgegen.
„Oana geht oiwei nu“ ruft mein 17 jähriges Ich ihr entgegen. Es gibt nur einen Grund, weshalb ich trinke. Ich will meine Gefühle ertränken. Den Schmerz, die Einsamkeit, die Selbstzweifel. Seit Monaten bin ich schlecht gelaunt und von mir selbst enttäuscht. Denn mit anhaltender Social Media Kritik und Bombardierung bleibt mir nur der Alkohol. Nicht mal mehr beim Sport kann ich loslassen. Die Gefühle bleiben. „Is wos?“ fragt meine Freundin. „Nana, olles oke. I bin nur a bissl miad.“
Sie sieht nicht, was in mir vorgeht. Aber das wird schon wieda, es geht no.
„Geht’s no?“ ruft mein Trainer quer übers Feld. Nach sieben Kilometern bin ich total fertig. Doch bevor ich ihm sagen kann, dass ich aufhören will, habe ich schon lange „Jo geht no leicht“ zurück geschrien. Denn er weiß es nicht. Also laufe ich weiter, obwohl ich nicht mehr kann. Des geht scho no, rede ich mir ein. Genauso wie mit meinen Gefühlen.
„Age kumm. A boa Wochn no. Des geht jetzt a no“, versucht mein Sitznachbar mich aufzumuntern.
„Mh, wenigstens bin i ned durchgfoin“ lautet meine stumpfe Antwort. Er versteht es nicht. Nach etlichen Prüfungen um doch die Vier zu erreichen, will ich mir einreden: „Es wird wieda“. Doch es fühlt sich nicht so an. Es fühlt sich alles sinnlos und schwer an. Wieso mache ich noch weiter? Ich denke einfach, es geht no.
„Geht’s no? Kannst no?“ frage ich mein Spiegelbild. Es blickt mich leer an. Ohne Freude, ohne Hoffnung. Eine leere Hülle aus Selbstzweifel.
Bis sich der Kopf schüttelt. Seitwärts.
„Na. Es geht nimma“, scheint es sagen zu wollen, doch niemand kann es hören.
Ein sanftes „Alles in Ordnung?“ unterbricht die Stille. Den Verkehr und das Wasser unter der Brücke hörte ich schon gar nicht mehr. Selbst das Gebrabbel der Menschen verstummte. So lange stand ich schon da und blickte auf das Wasser hinunter. So lange, dass es still wurde.
Bis die sanfte Stimme die Stille unterbrach und sie fragte nicht „Geht’s no?“ Denn „Geht’s no“ lässt nur eine Antwort zu: „Jo, es geht no.“ Das letzte Mal, dass ich diese Frage mit einem ehrlichen „Ja“ beantwortet habe, ist lange her. Ich glaube, es war beim Wandern. Ja, da gings no.
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