Genug des Dramas - Genug der Erinnerung
Sie stürzte den Tequila hinunter. Erleichterung für einen Moment. Das Glas landete krachend auf dem Tisch, das Geräusch hallte tausendfach in ihren Ohren wieder. Sofort wurde sie in eine Halluzination gerissen. Nein, eine Erinnerung.
Sie war auf einer Beerdigung. Der schwere Duft des Blumenschmucks hing in der Luft und machte das Atmen fast unmöglich. Sie ließ den Blick schweifen, hatte das Gefühl durch Nebel zu sehen. Die unterdrückten Schluchzer drangen kaum an ihr Ohr. Der penetrante Geruch, süß und leicht modrig, war das Einzige, was sie wahrnahm.
Jemand war tot. Ein Polizist. Sie wusste nicht mehr wer. Sie hielt die Trauerrede. Ihre Worte waren unwichtig, sie konnte sich nicht erinnern.
Sie wusste, was jetzt kommen würde.
Ein Knall zerriss die Luft. Ein Schuss. Ein paar Leute schrien ihren Namen, sie sackte zur Seite ins Gras. In dem Moment, als sie realisierte, dass sie getroffen wurde, brach der Schmerz über sie hinein und sie schnappte nach Luft. Jeder Atemzug brannte in ihren Lungen, der Schmerz war kaum zu ertragen. Die Menge war in Panik, ein paar Leute schrien ihren Namen. Automatisch suchte ihre Hand nach der Quelle des Schmerzes, und blieb auf ihrem Herz liegen. Als sie sie wieder hob, klebte Blut an ihren Fingern. Wie gelähmt lag sie da, um jeden Atemzug ringend. Dann sackte sie in eine bodenlose Tiefe.
Die Schatten im Raum schienen ihren Namen zu flüstern. In Panik stand sie auf, schwankte, und warf dabei das Glas um, das in tausend Scherben zerbarst. Fahrig tastete sie nach ihrer Dienstwaffe, noch in der Erinnerung gefangen, nahm sie sie und drückte sich mit dem Rücken an die Wand, den kalten Stahl fest im Griff. Und wieder wurde sie in die Vergangenheit gesogen.
Obwohl sie bewusstlos war, spürte sie, wie ihr Herz darum kämpfte, weiterzuschlagen. Sie merkte nicht, wie ein Skalpell ihre Haut durchschnitt, ein Schwall ihres Blutes sich über die Schuhe des Arztes ergoss und eine tiefrote Lache bildete. Dann wurde ihr Herz langsamer. Sie wollte sich nicht mehr dagegen wehren. Es war vorbei. Und ihr Herz hörte auf zu schlagen.
Damals hatte sie nicht die Rechnung mit den Fähigkeiten der Ärzte gemacht, die sie unbedingt am Leben halten wollten. Und sie lebte. Aber zu welchem Preis? Die Erinnerung verfolgte sie, schlaflose Nächte, in denen sie den Horror wieder und wieder durchlebte. Sie wollte endlich darüber hinwegkommen, nicht mehr in ständiger Angst leben.
„Es reicht“, sagte sie laut in den dunklen Raum, „Es ist genug, es ist einfach genug!“
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