genug für dich ist nicht gleich genug für mich
Sie hatte sich lange eingeredet, dass sie genug hatte. Dass sie alles hatte, was sie im Leben brauchte. Dass es ihr an nichts fehlte.
Doch irgendwann kam immer der Punkt, an dem man sich eingestehen muss, dass man nicht ›genug‹ haben kann, wenn man im tiefsten Inneren ein Verlangen nach etwas verspürt, was man zwar nicht so dringend braucht wie Luft zum Atmen, ohne das man sich dann aber doch kein Leben vorstellen kann.
Und gleichzeitig weiß man, tief im Inneren, wo man es vor sich selbst versteckt, dass man diese Sehnsucht niemals stillen können wird. Und irgendwie versucht man sich, während einem genau das klar wird, einzureden, dass es auch ohne genug ist und man es nicht braucht.
Jedes Mal, liegt man damit vollkommen falsch.
Es hatte länger gedauert, aber schlussendlich hatte sie es auch realisiert - mehr oder weniger. Sie wusste, was sie wollte und brauchte, damit ihr Leben endlich genug war.
Das, was sie brauchte, stand vor ihr in ihrem Zimmer und musterte sie verständnisvoll. ›Ich muss dir was sagen‹, hatte sie gesagt und ihren besten Freund dabei unsicher angesehen. ›Ich hab‘ mich in dich verliebt‹, hatte sie hinzufügt und dann schweigend gewartet, wie er reagieren würde. Und jetzt endlich schien es, als hätte er eine Antwort für sie.
»Aber das ist doch echt kein großes Ding. Das passiert doch total vielen Leuten. Einmal nicht hingeschaut und schon bist du in deinen besten Freund verknallt und schlussendlich stellt sich sowieso heraus, dass es nur freundschaftliche Gefühle sind. « Ihr bester Freund lächelte sie aufmunternd an und nahm ihre Hände. »Wir packen das schon. Wozu sind wir denn Freunde? «
Das Wort Freunde schien sie förmlich zu verspotten. Es war ihr bewusst gewesen, dass er so reagieren würde, irgendwie. Das Leben war kein Liebesfilm. Für ihn war sie nicht mehr als die alte Kindergartenfreundin. Seine beste Freundin. Die Freundin, mit der er ein Bett, den letzten Keks und fast sein ganzes Leben teilte. Die Freundin, die bei seinen Fußballspielen am Spielfeldrand stand und ihn anfeuerte. Die Freundin, bei der er nicht einmal im Traum daran denken würde, dass er sich in sie verlieben könnte.
»Für dich mag ja eine Freundschaft reichen, aber ich bin nicht du. Genug für dich ist nicht gleich genug für mich. « Die Worte fühlten sich an wie Gift, als sie sie aussprach. Als würden sie ihren Mund verätzen »Du solltest jetzt gehen. «
»Aber…«
»Du solltest jetzt gehen. «, sagte sie, nun wesentlich eindringlicher und senkte den Blick. Sie konnte ihn nicht ansehen. Nicht jetzt. Vielleicht nie wieder.
Sie hörte, wie er einatmete, um etwas zu sagen, doch er blieb stumm. Er hatte schon immer gewusst, wann er nichts zu ihr sagen sollte. Ohne ein weiteres Wort stand er auf und verließ ihr Zimmer. Vielleicht für immer.
Und als sich die Tür endgültig hinter ihrem ehemaligen besten Freund schloss und sie sich kraftlos auf ihr Bett legte und leise mit Weinen begann, da fühlte es sich paradoxerweise endlich an, als ob es genug wäre.
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