Genug ist Genug
„Der Gedanke an den Selbstmord ist ein starkes Trostmittel: mit ihm kommt man gut über manch böse Nacht hinweg.“ -Friedrich Nietzsche
Groß ist er nicht, der Balkon der Wohnung, die Viele als mein Zuhause bezeichnen. Ich selbst meide diesen Ausdruck. Ein Zuhause hatte ich noch nie. Einen Ort an dem ich mich stets geborgen und wohl fühle, der als mein Zufluchtsort fungiert. So etwas existiert in meiner Welt nicht. Nie konnte ich sie ausstehen, die hässliche Wohnung in der noch hässlicheren Straße, im hässlichsten Bezirk der hässlichsten Stadt. Seitdem ich denken kann ist mir jeder Ort an dem ich gewohnt habe fremd gewesen. Doch auf meinem Balkon, da kann ich es aushalten. Groß ist er nicht, dennoch kann ich es dort aushalten. Doch was noch wichtiger ist: Denken kann ich dort. Mein Balkon ist der einzig mir bekannte Ort, an dem ich klare Gedanken denken kann. In Kombination mit Regenwetter und Zigaretten denke ich dort gar manch meisterhaften, revolutionären Gedanken. Rauchen mag für den Körper ungesund sein, doch für meine Psyche scheint es nichts Gesunderes zu geben.
Schon seit meiner frühen Kindheit war es mein Wille, das von mir Gedachte niederzuschreiben und so meinen Lebensunterhalt zu verdienen. Schon immer faszinierte mich die Literatur. Oft war die Literatur mein einziger Anhaltspunkt. Literatur ist die Luft die ich atme, doch seit geraumer Zeit leide ich an Atemnot. Die Großmeister der Literatur sind bereits tot. Jene die geniales schrieben, jene Weltverbesserer sind bereits tot. Kafka war ein Weltverbesserer, genauso wie Bernhard es war. Auch ich wollte immer einer dieser Weltverbesserer sein und werde immer einer sein wollen. Doch es gelingt mir nicht herauszustechen aus der Masse der mittelmäßigen Schriftsteller unserer Gegenwart. Wie sollte ich auch, schreibt doch heute jeder noch so unbedeutende Mensch eine Autobiographie und jeder noch so humorlose Mensch eine Komödie und jeder noch so langweilige Mensch einen Krimi und jeder noch so oberflächlich denkende Mensch ein „philosophisches Meisterwerk“. „Genug“, sage ich mir immer. Genug der Pseudophilosophen, Pseudopolitologen und überhaupt Pseudoautoren. Schuld an dieser Masse von überflüssigen und nichtssagenden Autoren ist ja doch die immerzu dümmer werdende Gesellschaft, die sich heute so scheint es, schon an den oberflächlichsten und hirnlosesten Inhalten erfreut.
Oft hinterfrage ich den Wert meines Lebens, wenn ich so auf dem Balkon sitze, es regnet und ich rauche, werde ich doch sowieso nicht beachtet von dieser Gesellschaft voller Halbwissen und Pseudointellekt. Der Gedanke an Suizid hilft mir, muss ich an diese Gesellschaft denken. Der Gedanke hat etwas Befreiendes, Erstrebenswertes. „Genug des Lebens“, denke ich mir oft. Genug ist genug. So denke ich auch jetzt, wenn ich so auf meinem Balkon stehe und hinuntersehe in die Tiefe.
Genug.
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