Genug ist genug
Genug! Dieses Wort hallte sowohl in meinem Kopf als auch von den Wänden des leeren Flures wider, in dem ich mich befand.
Es war ein modriger, schimmeliger Flur, dessen Wände kahl waren. Die Schönheit des ehemals glänzenden Marmorbodens sah man nicht. Blut lag am Boden, Verwesung in der Luft.
Zu den schreiend herausrennenden Menschen zählte ich nicht.
Ganz im Gegenteil: Auf ganz eigenartige Weise fühlte ich mich hier wohl.
Wahrscheinlich lag das daran, dass der Flur eine Reflexion meiner Seele war: zersplittert, schimmelnd und allem voran leer.
Genauso fühlte ich mich in diesem Moment.
Doch ich wusste, dass alles bald ein Ende haben und die Leere in meinem Körper durch Zufriedenheit ersetzt werden würde.
Ein Schnitt. Ein einziger präziser Schnitt würde dafür sorgen und mich endlich aus diesem zur Realität gewordenen Albtraum Leben befreien.
Warum ich dies wollte? Ganz einfach: Ich hatte genug.
Genug von den Menschen, hinter deren lächelnder Fassade sich Dämonen verbargen.
Dämonen, die mich Stück für Stück in ihr Höllenreich mitnahmen.
Ich fing an, im Feuer der Hölle auf Erden zu schmoren.
Aber ich würde diesen Dämonen nicht die Genugtuung geben, mich verbrennen zu sehen.
Meine zierlichen, ruhigen Hände umschlossen den eiskalten Griff des Messers, dessen Klinge trotz kaum vorhandenen Lichts glänzte, und ich strich mit meinem Finger rasch mit Druck über diese.
Den Schmerz ignorierte ich und fokussierte meine seit Jahren ausdruckslosen Augen auf die dunkelrote Flüssigkeit. Leicht presste ich die Wunde zusammen, sodass mehr meines Lebenssaftes austrat, ehe ich einen Zettel nahm und auf diesen mit dem blutenden Finger einen Satz schrieb.
Kaum war dieser geschrieben, blickte ich auf mein rechtes Handgelenk.
Durch meine blasse Haut sah ich jede einzelne Ader meines Körpers. Die dickste und am stärksten pulsierende davon wollte ich durchtrennen.
Ohne einen letzten Gedanken an meine angeblichen Freunde und Familie zu verschwenden, ließ ich die Kälte der Schneide über mein Handgelenk sausen und meine Pulsader durchtrennen.
Anstatt zu weinen und zu schreien, legte ich mich einfach den Zettel festhaltend auf den dreckigen Boden.
Jegliche Gefühle wurden mir geraubt, waren vielleicht auch nie da.
Einen letzten Satz flüsterte ich noch, ehe sich der letzte Blutstropfen füllte, größer und dicker wurde, und sich mit beängstigender Endgültigkeit löste. Dann fiel er aufs Papier und beendete somit meinen Satz mitsamt meines Lebens.
Dieser geschriebene und geflüsterte Satz lautete: Genug ist genug.
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