Genug probiert
„Das reicht doch niemals! 3. 000 Zeichen sind schlichtweg viel zu wenig!“, ruft die Stimme in meinem Kopf frustriert, während ich das oberste, beschriebene Blatt des Blocks runterreiße und zusammenknülle, um es in den sich nur wenige Meter von mir entfernt befindenden Mülleimer zu werfen, wo es neben noch mehr zerknülltem Papier landet. Es ist nicht das erste Blatt voller hingefetzter Sätze, das dieses Ende genommen hat, und zweifelsohne ist das eine massive Papierverschwendung, aber das kümmert mich im Moment nicht. Vielmehr ärgern mich diese unmöglichen Vorgaben.
3. 000 Zeichen zu dem Thema „Genug“. Was in aller Welt soll sich denn in gerade einmal 3. 000 Zeichen ausgehen? Wie soll man eine pointierte Geschichte zu etwas schreiben, über das man sich über mehrere Seiten hinweg aufregen könnte? Und davon gibt es ja nun wirklich eine Menge. Es gibt vieles, das mir bis zum Kopf steht; vieles, bei dem ich nur zu gerne aufstehen und „Genug!“ brüllen würde; vieles in unserer wunderbaren, kaputten Welt. Aber nicht eine einzige Sache lässt sich auf ein solches Zeichenmaximum beschränken, dass ich zufrieden sein könnte, sobald mein Stift zur Seite gelegt wird.
Genug von diesem System, das langsam in sich verfällt. Genug von Schulen, die ihren eigenen Sinn schon lange verfehlen und jenen Wissensdurst auslöschen, den sie beflügeln sollten. Genug von jenen, die sich für etwas Besonderes halten und doch genau gleich sind wie hunderte andere auch. Genug von Vorurteilen und Wertvorstellungen, die in unserer Zeit schon lange der Vergangenheit angehören.
Was bringt es, wenn man brav dem vorbestimmten Weg folgt, der einen durch die Schule, durch das Studium und anschließend in die Arbeitswelt führt? Ich sehe die Zukunft und fürchte den Alltag. Eine Eintönigkeit, so gewohnt, so normal, dass sie vollkommen unbemerkt zu einem Käfig wird – das fürchte ich. Jeden Tag aufzustehen, die Morgenroutine abzuschließen, meine Arbeit zu verrichten und abends völlig erschöpft ins Bett zu fallen, um für den nächsten Morgen ausgeruht zu sein. Sich der Masse anzupassen, Meinungen zuzustimmen, immer zu nicken und zu lächeln, während eine wüste Beschimpfung den Hals hochkriecht. Zu versuchen, das Leben zu meistern, bis es einen dennoch in die Knie zwingt.
Nein, das will ich nicht. Und das wird mein Leben auch nicht. Ich weiß noch nicht, wie ich dem Teufelskreis entfliehen kann, noch bevor er beginnt, doch mir bleibt noch genug Zeit. Vielleicht ändert sich bis dahin etwas. Vielleicht wache ich morgen auf und die Welt ist tatsächlich ein kleines Stückchen besser geworden. Vielleicht wird sie auch schlimmer, und ich komme gar nicht so weit, um mir Sorgen zu machen.
Ich seufze. Nein, 3. 000 Zeichen sind wahrlich zu wenig, um all das, was ausgesprochen werden will, zu Papier zu bringen. Was soll’s. Selbst mit 3. 000 Zeichen werde ich die Welt nicht zu einem besseren Ort machen. Ich habe ohnehin schon lange genug probiert. Jetzt reicht es. Genug probiert, um aufzugeben.
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