Gereichtvon Ashlyn Young
Den Holztisch hat mein Vater zusammengebaut. Nicht ganz alleine. Ich habe ihm den Hammer gereicht. Immer, wenn er ihn gebraucht hat. Er hat es nicht für nötig gehalten, einen zu kaufen. Nicht den Hammer. Den Holztisch. Warum in den teuren Möbelmarkt fahren und einen teuren Esstisch kaufen, wenn man selbst einen bauen konnte? Es war billiger. Wir haben Geld. Wir hatten schon immer Geld. Aber er hat ihn selbst gebaut. Lieber selbst bauen und sich den schweren Hammer von seiner achtjährigen Tochter reichen lassen, deren strohige Zöpfe von der fürsorglichen Mutter geflochten wurden.
Es ist ein guter Tisch. Es ist immer ein guter Tisch gewesen. Stabil, wir haben Platz für fünf Leute. Meinen Vater, meine Mutter, meine zwei Brüder und mich. In den winzigen Ritzen der Holzplatten stecken immer feine Krümel. Von zermahlenen Cornflakes bis hin zu kleinen Sandklumpen, die aus dem Tränenkarunkel gefallen sind, kann man sicher alles aus diesen kleinen Bröseln ausmachen.
Dass sie immer seltener durch meine Brüder verursacht werden - Sie sitzen kaum noch an diesem Tisch-, ist mir klar, macht mich nach längerem drüber Nachdenken traurig und lässt mich die alten Zeiten zurückwünschen.
Die alten Zeiten, in denen an Wochenenden jeder im Haus mehr oder weniger pünktlich um acht Uhr aufgestanden ist, die Katze gestreichelt, mit ihr gespielt und sich schließlich an den Tisch gesetzt hat. An den Tisch meines Vaters. Er hat ihn zusammengebaut. Nicht alleine. Ich habe ihm den Hammer gereicht. Immer dann, wenn er ihn gebraucht hat.
Die Stimmung am Tisch war. . . normal. Für unsere Familie war sie normal. Wir beteten nicht, bevor wir aßen. Jeder griff lediglich nach dem Aufstrich, den er auf seinem trockenen Weizentoast bevorzugte. Wir aßen einfach. Schwiegen uns kurz an, schnitten ein flaues Thema an, lachten zwischendurch, pulten mit der Zunge den ein oder anderen Weizenkern aus der Zahnlücke, schwiegen uns wieder an und aßen weiter. Meine Mutter schlürfte ihren dampfenden Tee, zischte auf - Er war zu heiß.
Wir waren immer gleichzeitig fertig mit dem Essen. Die alten, verkratzten Bretter waren leer, hier und da klebte etwas Marmelade, bestückt mit Brotkrümeln.
Ich vermisse es. Alles. Ich vermisse die unbeschwerte Leichtigkeit am Sonntagmorgen. Dass wir als Familie zusammensitzen konnten, ohne durch mindestens ein Mitglied genervt zu werden, weil dieses etwas Falsches gesagt oder getan hat. Dass wir den zusammengebauten Tisch zusammen verlassen haben. Der mit den Cornflakes-Krümeln in den Ritzen. Nicht einer nach dem anderen aufstand, weil die Atmosphäre unerträglich war.
Streit in der Luft liegt, man nur entrüstet die Augen rollen kann, wenn man sich Essmanieren eines Zwanzigjährigen ansehen muss, der in seiner kleiner Bub-Phase stecken geblieben scheint.
Ich vermisse den Fakt, dass meine Mutter beim gemeinsamen Sonntagmittag keinen sanften Jazz ihrer besten CDs laufen lassen musste, um uns zu beruhigen - Dass wir nicht direkt sauer aufeinander wurden.
Habe ich das Recht, all dies zu vermissen? Ich weiß es nicht. Wahrscheinlich nicht. David ist 23, er plant, nächstes Jahr nach Italien auszuwandern. Raus aus dieser Familie, in der kaum mehr was zu funktionieren scheint. Er ist nicht mehr zwölf. Er kann machen, was er will. Wenn er gehen will, geht er. John ist 20, ein bärtiges Kleinkind. Unorganisiert, stur und unwillig, etwas an seiner vergraulenden Art zu ändern. Während er sich den Kopf darüber zerbricht, welches Flannellhemd besser zu seinen Schuhen passt, wünscht sich meine Mutter nichts sehnlicher, als dass er endlich auszieht und seine engen Boxershorts nicht mehr im Badezimmer liegen lässt. Die, die er immer trägt, wenn er erschöpft und pechschwarz vom Kehren der Schornsteine nach Hause kommt. Sich nur widerwillig und mit strenger Gewissensrederei seitens Papa eine Hose überzieht.
Sie beide kommen schon seit Jahren nicht mehr zum Frühstück. Sie liegen im Bett, drehen sich minütlich von einer Seite auf die andere und sabbern auf ihr Laken, während ich mit meinen Eltern am Tisch sitze und ihnen kauend dabei zuhöre, wie sie über die Flüchtlingskrise diskutieren.
Und doch habe ich genug von diesem grauen, bedrückenden Alltag. Ich will die unbeschwerte Lust und Fröhlichkeit um dem Esstisch zurück. Mein Vater hat ihn gebaut.
Sie sind noch da, wohnen mit mir tagtäglich unter einem Dach, und doch vermisse ich sie. Meine Brüder. Will nicht, dass sie gehen, und kann es gleichzeitig kaum erwarten, dass nicht mehr jeden Sonntag deprimierende Streitereien zwischen ihnen am Esstisch ausbrechen.
Doch habe ich das Recht, von all dem genug zu haben? Nein. Sie sind erwachsen. Sie gehen ihren eigenen Weg. Was einst freche Jungs waren, die kichernd ihre kleine Schwester geärgert und zum Weinen gebracht haben, sind heute behaarte Kerle, die mit jemandem wie mir nicht mehr viel anfangen können. Ich kann sie nicht zwingen, wieder mit uns zu frühstücken. Niemand kann das. Wenn sie auf ihr Bettlaken sabbern wollen, dann machen sie es. Ohne Widerrede von irgendjemandem. Wenn sie nach Italien auswandern wollen, dann machen sie es. Ohne Widerrede von irgendjemandem.
Ich wünschte, ich könnte ihnen all das verbieten. Aber das kann ich nicht.
Ich wünschte, ich hätte das Recht, von diesem grauen, bedrückenden Alltag genug haben zu dürfen.
Aber das habe ich nicht. Niemand hat das.
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