Geteilte Lebenvon Lilo Buschek
Nachts im Haus. Die Glut im Kamin wärmt mich. Eine Hand an meinem Rücken.
„Kann ich dir eine Geschichte erzählen?“ Keine Antwort. Unwichtig, ich erzähle trotzdem, so wie immer.
„Im tiefen dunklen Wald lebte einmal ein Mann namens Loos. Einst war er Teil einer Gemeinschaft, die von einer perfekten Welt träumte. Das war damals nicht ungewöhnlich, da es allen sehr schlecht ging. Diese Gemeinschaft jedoch bildete sich um eine Magierin, die überzeugt war, alle Sorgen bekämpfen zu können. Ihre Ideen entwickelten sich zu einem Plan, erdacht in kleinen Studierzimmern und diskutiert in großen Runden.
Es verging einige Zeit.
Doch statt Wut und Misstrauen zu verursachen, gab es mit jedem Monat, welches verstrich, mehr Menschen, die von dem Plan überzeugt wurden und auf eine explosionsartige Veränderung warteten. Es war ein Summen und Brummen. In jeder Schenke, bei jedem Markt wurde gemunkelt und geträumt. Eine Spannung zog sich durch jene wachen Stunden. In einer stillen Winternacht dann, teilte sie ihre Gabe in einem Ritual unter ihren Gefährtinnen, darunter auch Loos auf. Sie glühten vor Tatendrang und leuchteten voll Magie. Im ganzen Land verteilten sie sich und überall wurden sie bejubelt und beschenkt. Sie verwirklichten, was geplant wurde, nutzten ihre Magie wie sie es sollten. Doch das Glück weilte nicht lange. Die Menschen merkten, dass der Zauber, der sie retten sollte, ihnen mehr schadete als er half. Frust breitete sich aus und ein stärker werdender Widerstand bildete sich unter den Menschen. Die Zaubernden ließen sich nicht stoppen. Überzeugt von dem Plan ignorierten sie die Nöte der Menschen für ein größeres Ziel.
Loos kam auf seiner Reise durch den Wald und wirkte dort einen der Zauber. Er zerstörte damit eine Familie, die ihr Zuhause in einer Höhle hatte. Der Horror, den seien Macht in einem Wimpernschlag verursachte, hinterließ Spuren. Er blieb eine Weile stehen, konnte sich nicht bewegen, starrte in den Raum, auf das vergangene Leben. Und er bemerkte all die Ungereimtheiten, die Missgeschicke, die dunklen Flecken, die Kratzer, der Dreck, das Chaos, diese Unordnung überall, unaushaltbare Unordnung, nichts so wie es sein sollte.
Er verließ die Höhle nie wieder.
Es begann mit dem Löffel am Boden. Er hob ihn auf, legte ihn gewissenhaft neben den Teller und pausierte erst, als er die Falten des zweiteiligen Vorhangs in jeweils sechs perfekt symmetrische Wellen gelegt hatte. Denn als dies erledigt war, war alles am richtigen Ort. Er konnte nicht aufhören, selbst die kleinsten Details und unauffälligsten Makel wurden korrigiert. Kompromisslos optimierte Loos alles. Seine Hände aber blieben verschmutzt. Was er auch versuchte, sie waren immer von einem gräulichen Fettfilm überzogen.
Jahre waren vergangen, was mit der Welt geschah, interessierte ihn nicht mehr. Er stand im Höhleneingang, seine dunklen Augen erfassten die junge Frau, die sich auf ihn zu bewegt.
Sie heißt Faba. Ihr Vater betreibt einen Stoffladen in der Stadt, und sie versorgt den alten Mann mit Bandagen. Er bindet sich die Tücher um die Hände, um seine Höhle vor dem Fett zu schützen. Sie macht das, weil ihr Vater das schon so tat, auch wenn ihr der "Sauberer", wie ihn die Kinder in der Stadt nennen, unheimlich ist.
Sie gibt dem Alten die Bandagen, kämpft sich so schnell sie kann zurück durch das Gebüsch und flitzt durch den Wald. Auf der Wiese wird Faba langsamer, die Sonne brennt. Im Laden angekommen, setzt sie sich hinter die Theke und wartet auf Kunden. Sie hört ihren Vater in der Küche rumoren. Alle Geräusche gedämpft von den schon so oft gezählten Stoffballen in den Regalen, die den Geschäftsraum säumen. Ein Dackel mit Kind läuft an der Tür vorbei. Der Hund hebt das Bein, das Kind gewinnt Überhand und zerrt das widerspenstige Tier weiter. Faba beobachtet den Staub, der im einfallenden Licht umher tanzen. Sie holt tief Luft durch die Nase. Kein Geruch, atmet aus. Sie mag die dumpfe Atmosphäre im Laden. Gleichzeitig beschleicht sie jedes Mal, wenn alle Aufgaben getan sind und sie wie heute in vollkommener Ruhe sitzt, eine tiefe Unzufriedenheit. Faba hat Angst ihr Leben lang an diese vertraute Stille gebunden zu sein. Als die Türglocke läutet, richtet sich Faba erfreut auf. Sie begrüßt den Herren, der durch die Tür tritt. Er kommt näher und erläutert, dass er seiner Enkeltochter ein besonderes Geschenk machen wolle, da es ihr sehr schlecht geht. Faba versteht, dass der besorgte Großvater keinen gewöhnlichen Stoff kaufen möchte. Sie entschuldigt sich, verschwindet durch die Tür hinter dem Verkaufsraum und kehrt kurz darauf mit einem dunklen Päckchen zurück. Sie schlägt den Stoff in Seidenpapier ein, während sie dem erleichterten Alten den Schutzzauber erklärt, der in dem Material verwebt wurde. Er bedankt sich überschwänglich und bezahlt bevor er den Laden schnellen Schrittes verließ.
Er ging die Straße hinunter und musste sich selbst ermahnen langsamer zu gehen. Vor dem Wirtshaus "Zum Singenden Vogel" setzte er sich auf die Bank, um auf Hoffan zu warten. Er wickelte den Schal aus und bewunderte die tief-dunkle Farbe. In diesem Moment flog ein winzig kleines Wesen vorbei und hinterließ noch winzigere aber knall gelbe Flecken auf dem tief schwarzen Stoff. Verblüfft sah der Mann dem Ding nach, als es zwischen den angrenzenden Häusern verschwindet.
Es ist klein und schnell und fühlt sich wunderbar! Mit kleinen Füßen stößt es sich von Wänden und Holzbalken ab und schießt weiter. Überall wo es ankommt bleiben gelbe Punkte zurück. Ecke rechts, über die Straße, durch einen Baum von Ast zu Ast, ein Vordach, Looping um das Schild und es gibt keine Häuser mehr. Es flatterte kurz in der Luft, Boden. Ein großer See. Das Wasser streckt sich in alle Richtungen, überlässt dem Horizont kein bisschen Land. Ein gelber Sprühregen verteilt sich in der Luft, während sich das Ding um sich selbst dreht. Dabei entdeckt es die schwarzweiße Gefahr über den Häusern. Mit ansteigendem Tempo fliegt sie genau auf es zu. Die Jagt hat begonnen, die bösen Perlaugen sprühen Funken. Das Gelbe stürzt nach vorne, keine Hindernisse, keine Deckung, unter sich das Wasser. „Was, fällt dir ein, du Wicht. Ständig bringst du Chaos, meine schönen Federn voll mit gelbem Dreck.“ Sie schimpft ohne Pause, dicht auf den Fersen des gelben Dings. Dieses schlägt Saltos und zischt knapp über der Wasseroberfläche, zieht nach oben immer knapp dem scharfen Schnabel entwischend. Lange wird es das Tempo nicht mehr halten können. Es kneift die Augen zusammen scannt das Wasser, dreht nach links „du gelber Sack Dreck!“ Noch eine Drehung und es sieht die Rettung. Sturzflug und keine Sekunde zu spät durch das Fenster des Fischerbootes. Die Meise landete schimpfend auf dem Dach der Kajüte.
„Hey Oma, was macht denn so ein Vogel hier draußen?“ - „Das ist eine Schwarzmeise, die fängt wahrscheinlich Mücken. Komm setz dich her, sonst wird der Tee noch kalt!“ Zufu schüttelt den Kopf und setzt sich neben die Großmutter auf das Deck. „Du warst heute sehr gut, du wirst mal die ganze Welt mit deinen Kunststücken verzaubern!“ - „Ja, dank deiner Ratschläge!“ Sie prosten sich zu, beobachten das Wasser. Die Meise gibt auf, fliegt nach Hause. Die Sonne geht unter. Dunkel mit gelben Punkten.
Nachts im Haus. Die Glut im Kamin wärmt mich. Eine Hand streichelt die Katze.
Sie hört auf zu schnurren und schläft ein.
Wir danken unseren Unterstützern
Mit Unterstützung folgender Wiener Bezirke:




















Für Sponsoringanfragen wenden Sie sich bitte an Margit Riepl unter margit.riepl@gmx.at
Wenn Sie "Texte. Preis für junge Literatur" unterstützen möchten, spenden Sie bitte auf folgendes Konto:
Literarische Bühnen Wien, Erste Bank IBAN: AT402011182818710800, SWIFT: GIBAATWWXXX