GOLD oder Der Rausch v2von Oliver Wittich
Komm reich mir eine Waffe, eine Waffe der Worte, Karl, eine Waffe gegen mich selbst, ich will etwas schießen, etwas goldenes, es genießen, wenn es zu Ende geht.
Raus aus dem Haus. Es ist so kalt draußen, dass die Luft nach Menthol schmeckt. Ich gehe durch die Straßen, das Ziel ist nicht mein Ziel, aber das meines läppischen Lebens, für heute jedenfalls. Das Leben ist eine salzlose Suppe, für mich, für jeden. Man muss nachhelfen. Doch das Salz rutscht einem leicht aus und während die einen sich die Suppe versalzen, haben die anderen am Schluss mehr Salz als Suppe auf dem Teller. Der Tod durch Dehydration tritt ein. Doch nach dem Salz muss jeder selbst greifen. Der anderen Hände haben beim Würzen nichts verloren. Aber lieber ein intensiver Geschmack als diese ewige Monotonie.
Rein in die Straßenbahn. Warme Luft kommt mir entgegen. Wärme stinkt auf ihre eigene Art, sie ist der Nährboden für alle möglichen Gerüche. Auf ihr können sie wuchern. Die Leute reiben aneinander, erzeugen noch mehr Wärme. Mit jedem Ruckeln werden sie aneinander gestoßen, stöhnen. Wären sie geil aufeinander könnte das hier als Orgie durchgehen, eine Perversion in Jacken und Mänteln. Kälte ist klar, sie kann nach nichts riechen. Der Weltraum ist das kälteste, kein Platz für Wärme, Luft oder Gerüche. Kein Platz trotz unendlicher Weiten. Man kann dort nicht überleben. Und trotzdem wäre ich gerne dort, tot, aber alleine.
Raus aus der Straßenbahn. Ein kurzes Gestolper und ich bin endlich draußen. Um aus der Tristesse des Lebens hinauszukommen braucht man den Exzess. Das Mittelmaß ist eine Wüste, es trocknet einen aus, richtet einen zugrunde. Nur dem Dummen bleiben diese Qualen erspart, denn er bemerkt sie gar nicht erst. Darum heißt es hineinsteigern, sich verbeißen. Ablenkung ist gut, aber Exzess besser und Kontrollverlust das Ziel – die Oase. Wir wollen einen Rausch, Zustände, die uns übermannen, uns auf die Bretter schmettern, mit den süßesten Träumen.
Interlude:
Dadam, Ääääääääääääääääääääääääääähum
Dadam, Ääääääääääääääääääääääääääähum
Dadam, Ääääääääääääääääääääääääääähum
Wir wollen nach West, mit der Sonne untergehen
Dadam, Ääääääääääääääääääääääääääähum
Dadam, Ääääääääääääääääääääääääääähum
Dadam, Ääääääääääääääääääääääääääähum
Der Osten will mit uns dort hin
Dadam, Ääääääääääääääääääääääääääähum
Dadam, Ääääääääääääääääääääääääääähum
Dadam, Ääääääääääääääääääääääääääähum
Endlich im Meer des Konsums untergehen
Schöne Dinge verstehen wir nicht.
Was machen wir denn heute? Die Zeit totschlagen, die Langeweile ermorden, ihr die Eingeweide aus dem aufgeschlitzten Wanst fressen. Selbst schuld wenn man sich unbeliebt macht, gleichzeitig jedoch entbehrlich ist. Und dann? Nicht nachdenken. Wir suchen uns noch jemand zweiten, dritten, einfach mehr, egal wen, wenn es nur schnell genug geschieht. Dann wird gefickt. Wir wollen uns verkleiden, uns im Internet begaffen lassen – die andern sollen nichts verpassen. Dicke Schwänze, enge Muschis, Pornos sind uns viel zu sachte. Rammeln wollen wir bis es spritzt, ob Sperma oder Blut ist uns egal. Wir wollen uns zu Boden drücken und in den Himmel stoßen.
Doch der Höhenflug hält nicht lange an, ist nur eine kurze Pause, ein müdes Lächeln in der Depression. Wir versuchen die innere Leere zu füllen, uns vollzustopfen, wenn es uns beim Hals und bei den Ohren rauskommt, kann in uns doch kein Platz mehr sein. Kein Platz für Leid, Langeweile oder gar Hoffnung.
Der nächst Berg muss erklommen werden, auf dass wir auf ihm die Weisheit finden. Wir wollen herabsteigend, wissend dass Gott tot an seinem und unter unserem Fuße liegt. Und dass wir seine Stelle längst eingenommen haben, sie nur noch annehmen müssen.
Aber die Pflicht wäre zu groß. Lieber greifen wir zu etwas Spaß, ob aus der Tüte, Flasche oder Ampulle ist uns egal. Jeder neue Kick soll uns auf die Bretter drücken, die Luft aus den Lungen, wir wollen uns schöne Träume wünschen, wenn wir uns bewusstlos schlagen. Je kleiner der Punkt des Einschlags, desto größer die Kraft, die in ihm liegt. Gib mir den Cheat-Code für meinen Sim, ich will die Spaßleiste wieder füllen. Vom vielen Drücken werden meine Finger taub. Aber ist es wirklich Schummeln oder doch nur das wohl verdiente Upgrade für die gemeine Welt?
Doch lass uns da nicht aufhören. Wir wollen unsern Körper zu einem Meisterwerk meißeln. Der Sixpack glänzt in den ersten Strahlen des Blitzlichts. Wir wollen der Welt zeigen was wir zu bieten haben und unserem Körper, was wer uns zu bieten hat. Muskeln sind nicht zum Bewegen, sondern zum Trainieren da. Sie sollen Wachsen, wie Tumore, reifen in der Strahlung des Solariums. Schon mal ein frisch gedoptes Pferd gesehen? Das sind Schenkel. Anabolika und Aloe Vera fließen in dieselbe Spritze, die Gaffer haut es aus dem Sitze.
Und wieder wird es uns zu dumm. Mit der Kreditkarte funktioniert der Aufbau von Masse schneller. Wir raffen zusammen, was wir können, Fashion, Gadgets, Immobilien, was wir auch in die Finger bekommen. Was einen Preis hat, muss auch einen Wert haben. Wir wollen uns hinter dem Haufen verstecken, unsere Scham und unseren Kummer verdecken. Bis wir erkennen, dass man sich Liebe kaufen muss. Jetzt wird Geld anders herum verwendet und gespendet. Den Indianern und Afrikanern wollen wir es in den Rachen stopfen. Auch wenn man es nicht essen kann, gibt es ein schönes Gefühl im Magen. Wir wollen in Askese leben, in unseren Penthäusern mehr leiden als sie in ihren Baracken. Wir sind Touristen, stampfen ihre Dörfer mit unserem Wohlwollen nieder, der Pool gibt der Wüste Pfiff. Die kleinen sind so niedlich, kommt stopft ein paar ins Waisenhaus. Wir wollen uns an ihren Kulleraugen ergötzen, durch sie wahren Schmerz und Einsamkeit erfahren, sie mit einer Umarmung heilen und ihre Tränen mit Dollarscheinen trocknen.
Rein ins Arbeitsamt. Das AMS, Service steht hier an letzter Stelle. Die Luft ist verbraucht, als würde mich jemand mit einem Kissen ersticken, im warmen Bett. Doch dem letzten Lungenkrampf kommt gerade genug Sauerstoff zuvor, um mich am kläglichen Leben zu erhalten. Mein Aufenthalt hier erscheint mir paradox. Arbeit habe ich schon genug am Hals. Ich bin der Bote, der die Wahrheit bringt, so verrissen, dass sie keiner erkennt. Doch der Lohn ist karg, nicht genug um durchzukommen. Und auch die anderen sind falsch. Für Arbeit stehen sie an, doch was sie wollen ist Geld. Und auch das ist nur ein Mittelsmann zum Rausch. Denn der Rausch ist Gold, alles andere nur ein Imitat.
Ich will kein Semikolon, Gefangen mit den anderen. Oder frei allein. Karl, ich will das Ende sehen, mich hineinstürzen. Ich bin Mark Anton, die Spritze mein Schwert. Und dann über den Tellerrand hinaus, über den Dachrand, den Weltrand, hinab in das Ende, die Kälte, die Leuchtende Welt um mich verglüht.
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Anhang: Regieanregungen:
Die ersten drei Zeilen des Interlude können gesungen werden, bezüglich Melodie und Rhythmus kann "Power" von Kanye West als Richtlinie genommen werden. Die jeweils vierte Zeile ist zu sprechen.
Bei Aufforderungen empfiehlt sich ein auffordernder Blick ins Publikum.
Falls es zu einer Aufteilung unter mehreren Lesern kommen sollte, empfiehlt sich folgendes Schema:
Leser 1: Absatz 1, 5 (Interlude, gesungen) und 14
Leser 2: Absatz 2-4, 6 und 13
Leser 3: Absatz 5 (Interlude, gesprochen) und 7-12
Sollte es zu auf Grund der Länge zu Streichungen kommen – was wahrscheinlich der Fall sein wird –, so empfehle ich die Absätze 2-4 zu streichen, sollte das noch nicht reichen, die Absätze 9 und 11 und in letzter Instanz den ersten Teil des Absatz 12 bis „Bis wir erkennen…“ und schließlich das Interlude. Alternativ könnte man auch die Absätze 7-12 streichen.
Ich bin sicher, Sie werden eine gute Entscheidung treffen.
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