Gordischer Knoten
Samstagabend, alles macht wieder keinen Sinn, wieder dieselben Menschen, dieselben Gespräche. Die graue Rauchwolke einer weißen Zigarette verbrennt sofort die sittsamen Augen, die bisher nichts anderes als das Verderben auf gelblichen Seiten von Liebesromanen mit dicken Verbänden erblickt haben. Kaugummi im Mund, Wunschvorstellungen im Kopf. Der Herrscher von China, die Königin Indiens zu werden. Den Triumph von Alexander zu erleben, als unbesiegbarer Gott auf dem Schlachtfeld, unbeschränkt in der leidenschaftlichen, jungen Liebe, jugendlichen Schönheit bis ans Ende der Zeit, zu sterben. Den Sieg des verewigten Jungseins, unberührt von der Vergänglichkeit des Alters. Auf der gegenüberliegenden Bank, die an jede andere in der Stadt erinnert, sitzen zwei Burschen aus schlechtem Hause, mit stürmischen Köpfen voller erfundener Erfolgserlebnisse. Der Rauch brennt im Rachen und löst sich im Licht der Sommernacht auf. Sie spinnen Seemannsgarn von einfachen Geschichtchen, leichten Mädels, unerfülltem Sehnen. Ich wünschte, nur ganz kurz, jemanden am Herzen zu liegen. Ich wünschte, nur ganz kurz, dass mich die Burschen aus schlechtem Hause anschauen und sich danach sehnen, mich zu lieben. Ich wünschte, das persische Reich zu erobern. Ein Schluck von billigem, gebranntem Schnaps aus einem kommerziellen Wasserglas mit grünen Blättchen und ich lebe auf in einer Trance wie in der Fantasie, nur ganz kurz. Wie Alexander in Babylon, noch überzeugt, dass niemand stärker als er ist. Überwältigt von der Vorstellung, ein unerfüllter Wunsch zu sein, eine einfache Geschichte zu werden, frage ich, wie aus einer anderen Haut, den stürmischen Burschen, ob er mir den Wunsch des ersten Küsschens erfüllen würde. Wie von Bacchus gezaubert, erfüllt sich der Wunsch. Der Durst nach Schnaps, die Fantasie vergeht. Vergoldet werde ich ein Geschichtchen, ein leichtes Mädchen, vergessen, verdorben. Ein Zug der Zigarette, knisternd im Straßenlicht. Gänsehaut von der Sommernacht. Sonntagmorgen, Busstation, kaltblütige Verabschiedungen. Vergebliche Versuche, doch nichts ändert sich. Wenn der Mut verschwindet, ist das Wochenende nur noch ein Arbeitstag, um alles zu machen, außer alleine zu bleiben. Sieben Tage, bis wieder alles vergessen ist, bis der Durst nach Schnaps der Fantasie ähnelt.
Wir danken unseren Unterstützern
Mit Unterstützung folgender Wiener Bezirke:
Für Sponsoringanfragen wenden Sie sich bitte an Margit Riepl unter margit.riepl@gmx.at
Wenn Sie "Texte. Preis für junge Literatur" unterstützen möchten, spenden Sie bitte auf folgendes Konto:
Literarische Bühnen Wien, Erste Bank IBAN: AT402011182818710800, SWIFT: GIBAATWWXXX