Grau
Es war ein nebliger, kalter Februar. Ich ging die Straße hinunter, in der ich wohnte. Die trüben, kahlen Bäume neigten sich mir entgegen, und eine Frau ging an mir vorbei. Sie telefonierte mit jemandem, wahrscheinlich mit ihrem Mann oder vielleicht mit einer Freundin. Sie strahlte Freude aus und stach aus ihrem Umfeld heraus. Sie hatte ihre langen braunen Haare mit einem roten Band zu einem lockeren Knoten gebunden und trug ein locker sitzendes rotes Kleid. Als sie an mir vorbeiging, roch ich ein süßes, blumiges Parfüm. Wahrscheinlich war sie auf dem Weg nach Hause, wo jemand auf sie wartete, wie sollte es auch anders sein bei einer so lebhaften Person. Ich war anders. Ich war ein unattraktiver und langweiliger Mann, der sich von einem Job zum nächsten hangelte. Ich hatte nicht viel Geld oder Besitz. Ich hatte keine Hobbys, keine Talente, keine Freunde. Ich sprach auch selten mit jemandem. So selten, dass ich oft vergesse, wie meine Stimme klingt. Mein Alter habe ich auch längst vergessen, ich müsste Mitte zwanzig sein, aber wer weiß. Jeder Tag ist gleich. Ich stehe auf, oder besser gesagt, ich verlass mein Bett, denn ich schlafe oft nicht, dann esse ich ein trauriges Frühstück und mache mich auf den Weg zur Arbeit, wenn ich eine habe. Meistens gehe ich jedoch einfach die Straße entlang und beobachte, wie andere Menschen ihr Leben leben, während ich an Ort und Stelle bleibe. Die einzige Veränderung sind die Jahreszeiten, aber selbst die sind nicht besonders unterschiedlich. Der Winter ist nicht sehr kalt und der Sommer nicht sehr warm. Alles erscheint grau und monoton. Es sieht so aus, als ob es kein Ende geben würde.
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