Graue Sterne
Wenn die Menschen sie beschreiben sollten, würden sie sagen „normal halt, wie die anderen auch, wieso?“. Mit ihren Freunden lacht sie, mit den Lehrern denkt sie. Gelegentlich noch zustimmend nicken, dann sind alle zufrieden und vergessen im nächsten Moment wieder dass sie da ist. Manchmal vergisst sie es auch. Tage sind Tage, meistens von dieser grauen Struktur. So Richtung Mausgrau – mit einem Schuss Feldhamster.
Heute ist sie mutig. Um nicht aufzufallen. Immer im Schutz der Wogen, wenn diese schäumende Berge bilden und sich vorwärts bewegen, dann treibt sie mit. Das Salz brennt in ihren Augen. Alle um sie herum leben, leben als gäbe es kein Gestern. Morgen zählt, Übermorgen noch mehr, die Zukunft liegt in deiner Hand. Mach was draus! Be brave!
Dass da ein Band an ihr zerrt, welches an diesem warmen, duftenden und blumenbehangenen Abend festgeknüpft ist, interessiert niemanden. Wen auch? Damals sah sie Sterne, so unendlich weit, noch einen Zentimeter weiter und ihr Herz würde zerspringen. Schönheit tropfte aus ihren Augen. Damals wurde der Mut nach ihr benannt. Übermut. Weiter, höher, alles einfach größer und besser. Er hielt dabei ihre Hand, die anderen alle nur verschwommene Schatten. Sie würde ihn nie wiedersehen. Übermut.
Könnte sie ihn doch loslassen. Es wäre so einfach. Mutig sein und springen. Der Fall zerreißt das Band und sie lacht und denkt wieder. Doch diesmal auf die grüne, blaue und rote Art.
Vielleicht, vielleicht aber auch nicht. Am Abgrund bleibt sie stehen. Der Nebel lässt die Tiefe im Verborgenen, doch als sie sich streckt ist da diese Erinnerung von Wärme an ihren Fingerspitzen.
Blieben sie kurz stehen, die Menschen würden sie als das Mädchen mit dem ins Gesicht gezeichneten Unmut beschreiben. „Früher dachte sie nur an sich, heute noch nicht mal das. Sie schaut so unzufrieden, ist das normal?“
Sie hat immer noch seine Stimme im Ohr. So leise sie hört es kaum. Damals rann Glück aus ihren Ohren.
Einfach springen, mutig sein. Das Leben bunt betupfen.
Nicht nach diesem Abend. Nicht, nachdem er aufhörte zu sehen und zu hören.
Die Wogen fallen in sich zusammen. Der Sog setzt ein und der Abgrund ist bloß noch ein Schimmern. Sie schwimmt und ist mutig.
Heute öffnet sie die Augen. Die Sterne sind immer noch da. Zahllos und weit. Irgendwie grau.
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