Graue Zellen – geschüttelt, nicht gerührtvon Eleftheria Walzer
Leere tropfte von den kahlen Wänden der Zelle und benetzte meine blaue Haut, brachte sie zum Flackern. Wie war ich hier gelandet? Was war ich? Wieso war ich? Längst hatte ich aufgegeben, mir diese und alle anderen Fragen zu stellen, denn sie erinnerten mich schmerzlich daran, dass ich existierte.
„Alle Mühe ist umsonst!“, hörte ich etwas oder jemanden rufen. „Die Welt ist dem Untergang geweiht“, sinnierte eine zweite Stimme. „WIESO IST DIESE ANANAS ROSA! ? Hört mich jemand? Ich gehöre nicht hierher! Erzähler!“, piepste eine dritte. „Einmal in der Gehirn-Zelle, immer in der Gehirn-Zelle“, grollte eine andere Stimme: der Wächter, „Niemand kann Euch hier unten hören, erst recht nicht Euer verehrter Erzähler. Der sitzt seelenruhig in seinem Schloss, im Bewusstsein, und schreibt an seinem inneren Monolog. Gebt es endlich auf!“ Wer war dieser Erzähler, von dem immer alle sprachen? Erneut hatte ich mich etwas gefragt. Von irgendwo her ertönte der dumpfe Klang einer Glocke. Der Wächter lachte, hämisch: „Seht an! Einige von Euch haben heute anscheinend ihren großen Auftritt in den Alpt-Räumen.“ Schon wurde die Tür zu meiner Zelle aufgestoßen. Zwei Schatten traten ein, schmiegten sich an die Wände, krochen empor, schluckten die Leere und umschlossen mich, bildeten eine Blase, trugen mich fort. Ich ergab mich der Dunkelheit.
Plötzlich ein lauter Schrei, und ich war frei. Ich stolperte, jemand reichte mir eine leuchtende Hand, ich ergriff sie. Die Schatten um mich herum versickerten in den steinernen Stiegen. „Wie?“, fragte ich. „Ach, eine Privat-Sphäre aufzubrechen, ist für eine Frage, wie ich es bin, einfach.“ „Eine Frage?“, staunte ich. „Wie unhöflich von mir! Darf ich mich vorstellen? Ich bin die Frage ‚Was soll ich bloß schreiben? ‘“ „Was? Weißt Du also auch, wer ich bin?“, stieß ich hervor. „Ein Gedanke, der noch nie gedacht worden ist“, erwiderte die Frage, „Noch weiß niemand, was Du zu sagen haben wirst, aber irgendwann wird der Moment kommen, in dem sich Dein Wesen Dir und anderen offenbart. Begreifst Du eigentlich, wie sehr es mich freut, Dich gefunden zu haben? Mit etwas Glück bist nämlich Du meine Antwort“, strahlte die Frage, zog mich die Treppen hinauf und in die Erhabenheit des Bewusstseins hinein. Ich hielt überwältigt an. Überall plapperte es munter vor sich hin, einige Gedanken fuhren Karussell, andere hüpften übermütig um eine Box und sangen: „Out-of-the-box-Denken und die Langeweile kränken!“.
Verwirrt wandte ich mich der Frage zu: „Woher weiß ich denn, wann sich mein Wesen offenbart und ich endlich gedacht werde?“ „Das Bewusstseins-Licht wird sich über Dich legen und Du wirst Deinen Gedankensatz in die Welt hinausschreien, auf dass Dich der Erzähler erhören möge! Dann und nur dann wirst Du gedacht werden. Lass es mich Dir zeigen“, ohne eine Antwort abzuwarten, schrie die Frage, „Was soll ich bloß schreiben?“ Ein Lichtkegel legte sich um sie und der Boden summte und wankte, während von weit her eine tiefe Stimme die Luft zum Erzittern brachte. „Der Erzähler, er nimmt mich in seinen Monolog auf. Ich werde also in diesem Moment vom großen ‚Ich‘ gedacht. Das ist schon das dritte Mal, ich scheine wichtig zu sein“, erklärte die Frage schulterzuckend, „deswegen muss ich schnellstmöglich die perfekte Antwort finden.“ „Huhu, nimm mich“, säuselte ein schwebender Stofffetzen und näherte sich nach Anerkennung heischend der Frage, „Ich bin die Geschichte vom Polsterüberzug, der zum Leben erwacht und für einen Geist gehalten wird, obwohl er einfach nur friedlich unbelebt sein möchte. Ich bin die perfekte Idee!“ „Nun, ich weiß nicht…“, unschlüssig blickte die Frage um sich. Schon wurde ihr erneut aufgelauert. „Hör nicht auf diesen fadenscheinigen Polstergeist! Nimm mich zu Deiner rechtmäßig angetrauten Antwort. Immerhin ist der Text des ‚Ichs‘ meinetwegen in die finale Runde des Wettbewerbs vorgerückt. Ich habe noch einiges vor… Zuerst schnappe ich mir Dich, dann den Erzähler und schließlich die ganze Welt! Sie soll mir zu Füßen liegen, so wie ich ihr einst zu Füßen lag“, sprach ein nicht ganz unbekannter Pullover leicht manisch, während er mit seinen Ärmeln einen Wäschekorb umklammerte.
„Pullover for President!“, rief eine im Korb liegende Socke.
„Das wird mir hier zu wirr. Komm, wir gehen“, sagte die Frage zu mir. „Ihn nimmst Du mit? Du hast nicht mehr alle Federn im Polster! Der ist doch noch nie gedacht worden!“, rief uns der Polstergeist hinterdrein. „Hör nicht auf ihn. Er stammt aus der Imagi-Nation, dort sind alle eingebildet“, tröstete mich die Frage.
Eine Weile gingen wir dahin, bis sich uns eine Wand, unüberwindbar, in den Weg schob. „Sehr unangenehm. Darf ich vorstellen. Die Schreibblockade“, sagte die Frage und trat mit voller Wucht gegen das Urgestein. Das Mauerwerk blieb schwer unbeeindruckt. „Jenseits von ihr liegen der magische Schreib-Fluss und die große weite Geschichtenwelt. Ach, wie gerne ich sie überwinden würde, aber dazu brauche ich eine Antwort.“
Ich nickte bloß. Wann wohl würde ich endlich gedacht? War ich vielleicht die Auserwählte? War die Antwort, welche die Schreibblockade ein für alle Mal durchbrechen könnte, ich? Hatte meine Existenz einen wahrhaft tiefen Sinn? Kaum getraute ich mich, zu hoffen.
Die Frage indes plauderte ungebremst weiter: „Ich war eigenhändig im Gedankenfluss fischen, bin bloßfüßig durch den ‚Brainstorm‘ gewatet, in dem es Ideen buchstäblich regnet, doch alles vergebens. Nirgends habe ich meine bessere Hälfte ausfindig gemacht. Du bist meine letzte Hoffnung, mein lieber, nie zuvor gedachter Gedanke.“ Krick. Krack.
„Hörst Du das?“, fragte ich unruhig. Etwas knirschte, knackste und kreischte. „Kommt das aus der Schreibblockade! ?“ Der wuchtigen Wand entschlüpfte ein unförmiges Etwas. Es erhob sich ungelenk, wurde zunehmend zu etwas Förmigerem, einem Püppchen. Seine Schultern knacksten, verbogen sich in unnatürlichem Ausmaß, sein Kopf drehte sich einmal um die eigene Achse, sodass es mich nun mit seinem Blick fixierte. Seine pechschwarzen Knopfaugen starrten direkt durch mich. Schatten umspielten seine lieblichen Gesichtszüge, verzerrten sie zu grotesken Grimassen. „Oh, ist das nicht süß?“, rief die Frage glückselig. „Nein, ganz und gar nicht“, widersprach ich entsetzt.
„Ich bin das Exis-Tier. Ich bestimme, wer im Bewusstsein Bestand haben darf. Du hast zwei Möglichkeiten: Entweder, Du ergibst Dich mir, und ich sperre Dich widerwärtigen Gedanken zurück ins Unterbewusstsein…“ „Oder?“ „… oder Du spielst mit mir“, lächelte es unschuldig. „Ich bin für die dritte Option“, rief die Frage, packte mich bei der Hand und lief los.
„Fangen spielen. Gerne doch“, ein grauenhaft gurgelnder Laut entwich seinem weit aufgerissenen Mund. „Also gut, nicht süß, überhaupt nicht süß“, presste die Frage hervor. Bald schon spürten wir seinen ätzenden Atem im Nacken, schlugen Haken. Die Frage hechtete zu auf eine braune Tür, „hierher!“, keuchte sie und zog einen Schlüsselbund hervor. Zittrig suchte sie nach dem passenden Schlüssel. Zu groß, zu lang, zu dünn. „Ein kleines Mäuschen läuft ins Rathaus“, krächzte das Exis-Tier, „Rathaus brennt, Mäuschen rennt.“ „Mach schneller!“ „Willst Du übernehmen?“, erwiderte die Frage gereizt und warf mir den Schlüsselbund zu. Hastig machte ich mich ans Werk. Wieso wich das Schlüsselloch dem Schlüsselbart jedes Mal geschickt aus? Das Knacksen wurde immer lauter, das Exis-Tier war uns nun bedrohlich nahe. „Ampel rot, Mäuschen tot“, sang das Püppchen, Nägel bohrten sich in meine Schultern, stechender Schmerz ließ mich aufschreien. „Hab ich Dich“, grinste das Exis-Tier. Ich spürte, wie mein Wesen mir langsam entglitt. Nie würde ich herausfinden, was der Sinn meines Lebens war. Panisch entriss mir die Frage den passenden Schlüssel, traf unvermutet ins Schlüsselloch, das Schloss sprang auf. Sie zerrte mich durch die Tür und warf sie hinter uns zu. „Kommt raus! Kommt raus! Ich finde Euch, wo immer Ihr Euch versteckt“, verfolgte uns die grelle Stimme des Exis-Tiers, die Tür erschauderte unter seinen Schlägen. „Wir müssen weiter“, rief ich. „Ich stimme zu, allerdings gibt es dabei ein Problem“, die Frage wies auf den Weg vor uns. Dieser endete abrupt. Wir standen vor einer gewaltigen Schlucht, in der Tiefe ein reißender Strom. Nichts unten schien vor ihm sicher zu sein. Auf der Suche nach einer Brücke liefen wir den Abgrund entlang.
„Da!“, rief die Frage. In gleichmäßigen Abständen hingen kleine grüne Gestalten über der Schlucht in der Luft. Der einen fehlte ein Arm, der anderen ein Bein, der dritten der Kopf. „Gedankenfragmente! Es gibt nur einen Weg, die Informationsflut zu überqueren. Wir müssen springen! Auf drei. Eins, zwei, drei-“ Bevor ich zögern konnte, nahm mich die Frage an der Hand, wir sprangen und landeten auf der ersten Gestalt.
„Also sind wir Gedanken… wieso können wir dann denken? Glaubt ihr, in uns existiert ein ganz eigenes Universum, mit mehr Gedanken?“
Wir sprangen weiter, bevor das Fragment uns mit sich reißen konnte, die Gedankenspirale hinab.
„Wenn Du denkst Du denkst, dann denkst Du nur Du denkst, denn wenn ein nie gedachter Gedanke anfängt zu denken, dann ist das gedankenloses Denken.“
Uns schwindelte vor Verwirrung. Schnell weiter.
„Sein oder nicht sein, das ist hier die Frage.“
„Ist sie nicht! Oder siehst Du ‚Hamlet‘ irgendwo? Kaum aus dem Äußeren Ein-Fluss gestiegen, hälts Du Dich für das Original“, konterte die Frage, eingeschnappt.
In einem letzten Sprung erreichten wir – die andere Seite.
„Was haben wir gerade gemacht?“, stieß ich entgeistert hervor. „Gedankensprünge.“ Nachdem wir einen raschen Blick hinter uns geworfen hatten, wandten wir uns um, zum Gehen.
„Gefunden“, sagte das Exis-Tier trocken.
„Wie-“, setzte die Frage an, überlegte es sich anders und hechtete, in einem gewagten Manöver, am Exis-Tier vorbei, und ich tat es ihr gleich. Gemeinsam stolperten wir durch verworrene Gedankengänge.
„Hier entlang!“, rief die Frage und steuerte ein Reihenhaus an, auf dessen Fußmatte „Karies Willkommen“ stand. Drinnen stürmten wir am Wohnzimmer vorbei, von wo „Schokolade wirkt beruhigend!“, „Aber Saft enthält doch Vitamine!“, „Ab morgen werde ich mich gesund ernähren!“ und Ähnliches ertönte. Unweigerlich hielt ich inne. Gedanken, die ein echtes Zuhause hatten? Sehnsucht machte sich in mir breit, zupfte an meinem Inneren. Ich wollte nicht mehr laufen, wollte verharren, mich wohl fühlen.
„Das ist eine ‚Gewohneinheit‘. Hier wohnen Gedanken, die häufig gedacht werden. So verlockend es auch klingt – glaubst Du ernsthaft, wir könnten bleiben?“
Nein, natürlich nicht. Würde ich meiner Sehnsucht nachgeben, fände mich das Exis-Tier und ich wäre auf ewig verloren.
Als wir die Hintertür aufstießen und hinaustraten, überkam uns das Gefühl, dass etwas nicht stimmte. Wir blickten uns um. Groß und übermächtig ragte vor uns eine Mauer empor. Nein, nicht irgendeine Mauer-
„D-d-d-die Schreibblockade!“, stammelte ich, und noch während ich die Worte aussprach, fühlte ich, wie sich etwas in mir verrückte. Weißes Licht umhüllte mich, das Bewusstseins-Licht. Unbändige Energie durchflutete mich, löste sich aus den Fesseln meiner Form. Ich schrie. Alles um mich herum erwiderte meinen Ruf, die melodische Stimme des Erzählers brachte die Welt zum Singen und Schwingen. Was ich schrie, das wusste ich nicht, aber es war ohnehin nicht von Bedeutung. Endlich hatte ich etwas zu sagen, ich fühlte mich mächtig, unbesiegbar.
Mein Schrei verebbte, versank in eingekehrter Stille. Euphorisch drehte ich mich zur Frage um. Sie starrte mich ungläubig an. „Das war der Moment! Ich bin vom ‚Ich‘ gedacht worden!“, jauchzte ich glücklich.
Der Unglaube wich Entsetzen. „Ist Dir bewusst, was Du bist?“, flüsterte die Frage zitternd.
Die Erde unter uns erbebte, verflüssigte sich, zog sich zusammen, wurde zu schwarzem Schleim, schmatzend gab er Kreaturen frei. Röchelnd krochen sie aus dem kühlen Dunkel:
„Alle anderen sind talentierter als ich“, säuselte der eine.
Was passierte hier?
„Meine Ideen sind es nicht wert, aufgeschrieben zu werden. Ich habe nichts Wichtiges zu sagen“, sang der andere.
Mir wurde auf einen Schlag kalt, sehr kalt.
„Ich sollte einfach aufgeben“, kreischte ein Dritter.
Sie umkreisten einander, wurden zu einem Strudel, zogen alles mit sich in die Tiefe, was ihnen nahekam, mir riefen sie zu: „Meister! Danke, dass Du uns befreit hast!“
„All die Zeit über dachte ich, die Antwort wäre der Anfang, der Weg vorbei an der Schreibblockade, in eine magische Geschichtenwelt. Ich dachte, sie hätten Dich irrtümlich ins Unterbewusstsein gesperrt, dachte tatsächlich, Du könntest die Idee sein, die mich vervollständigt“, stellte die Frage eisig fest, „Nun kenne ich Dein Gesicht. Jetzt begreife ich: Es bräuchte nur eine Antwort, und meine Suche wäre vorbei. Eine Antwort ist gar kein Anfang – sie bedeutet immer das Ende. Ich will kein Ende. Ich bin mir selbst mehr als genug.“
Plötzlich stand sie direkt vor mir. Eine geschmeidige Handbewegung, ein Stich, ich ging zu Boden.
„Wa-“, setzte ich an, doch meine Kräfte schwanden und ich brachte keinen weiteren Laut zustande.
„Es war mir eine Ehre, Dich gekannt zu haben, lieber Gedanke ‚Ich bin nicht gut genug‘.“
Mit letzter Kraft hob ich den Blick, schaute auf, sah die Frage, sah die bröckelnde Schreibblockade, welche den Weg zu einer Geschichte nach und nach frei gab, den Weg zu dieser Geschichte. Ende?
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