Großer Brauner
„Klein oder groß?“
„Groß“
Er hört sich entfernende Schritte, sein Blick gleitet von braun glänzenden Lackschuhen, dunkelblauer Anzugshose über weißes Hemd und rote Fliege, über glatt rasiertes Kinn hinauf zu einer spitzen Nase. Violettschwarze Strähnen hängen ins Gesicht, rahmen hohe Wangenknochen ein.
Violettschwarz ist auch das Beerenmousse der Dame vor ihm, das auf cremeweißem Teller thront. Er sieht die langen knochigen Finger. Sieht, wie sie sich um einen Löffel klammern. Sieht, wie sich um dessen Ende dunkelrot bemalte Lippen stülpen, sanft aufeinanderpressen, wie die Ecken ihrer Mundwinkel Genuss in ihre Wangen falten, bevor die Lippen den Druck leicht lösen und den Löffel langsam freigeben. Stück für Stück versenken Gabeln ihre schmalen Zanken in Tartes und schmatzender Sachertorte.
Von draußen stampfen Windböen Esskastanien in Maronischnitten, die sich – von gläsernen Vitrinenrhomben sicher eingeschlossen – stolz präsentieren. Die Deckenlichter flackern und verschwimmen in Teilreflexionen, lösen sich von pickenden Zuckergusséclairs, zwirbeln in halbtransparenten Kondensstreifen um braunen Schaum, tragen pulvrige Kaffeeschlieren in seine Nasenflügel.
Ein Mann in grauem Mantel lässt die Hände über Schokoladenschnittentasten gleiten, bis aus dem Klavier vor ihm schwere und leichte Noten quellen, pastellene, herzförmige Münder benetzen, aus denen sich glockenhelles, versehentlich entlocktes, kindlich erschütterndes, kehliges Lachen in dicken Tropfen abschnürt, die eine Pfütze in seiner Herzenshöhle sammeln, ihn anfüllen, ihn ausfüllen, dass er Honigwärme gegen seine Adern klopfen spürt. Ihn tränken Bitterschokoladenstrahlen, die unter der Oberfläche seiner Haut schimmern und im Rhythmus seines Pulses sanft dagegen wallen. Sie leuchten gedämpft aus ihm heraus, berühren die Gestalten um ihn mit fransigen Atemfingern.
Jetzt schwebt er, fühlt sich erfüllt, fühlt sich leicht, er fühlt sich…-
Ein Räuspern ertönt hinter ihm, er dreht sich um und vor ihm steht wieder der spitznasige Herr der Wünsche, die eleganten Fingerkuppen an silbernes Tablett geschmiegt. Sein Blick findet den des anderen, er fragt
„Großer Brauner?“
Jetzt lächelt der Herr, verbeugt sich und serviert
„Hier, Ihr Klopapier.“
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