Größte Angst
Graue Wolken
auf blauem Himmel.
Der Geruch
von nassem Asphalt
in meiner Nase.
Hitze
in meinen Wangen,
die Tränen ankündigen,
die auch sofort folgen.
Keiner zu sehen
hier draußen
auf den Straßen.
Trotzdem
vergrabe ich mein Gesicht
in meinem Kragen.
Ich hasse es.
So wenig.
So wenig
ist genug,
um alles brechen zu lassen.
Ein Moment,
den ich nicht mehr
vergessen werde.
Nie.
Der Regen,
der sanft
gegen das Fensterglas
klopft.
Die Kuckucksuhr
an der Wand.
Tick
Tack
Tick
Tack
Mein Herz,
das schneller pocht
als je zuvor.
Poch-poch
Poch-poch
Und er.
Das Papier raschelt,
wenn er
seine Zeitung umblättert.
Seine Augenbrauen,
schon angegraut,
die höher wandern,
nur ein kleines bisschen.
Sein Blick,
der einen Punkt
auf der Zeitung fixiert.
Und sein Mund,
der zuerst verkniffen ist
und schließlich sagt:
„Geh bitte“
Umgangssprachlich für:
„Das ist doch nicht dein Ernst!“
Doch es ist mein Ernst.
Mein vollster.
„Geh bitte“,
wiederholt sein Mund.
Seine Zunge
befeuchtet seine Fingerspitzen
und er blättert um.
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tut er nicht.
Und damit
bricht er,
der Damm,
der alles zurückhält.
Ich stehe auf
und gehe,
bevor alles
herausbricht.
Stoße die Tür auf
und renne.
Weit
Weit
Weit
Ich renne,
bis meine Füße
mich nicht mehr tragen können.
Und jetzt
bin ich hier.
Meine Haare
kleben feucht
am Nacken.
Meine Lunge lechzt nach Luft
und droht,
meine Rippen zu sprengen.
Der Himmel
verschwimmt zu einer Masse
aus Grau
und Blau.
Die Luft ist kalt
und meine Finger
werden lila.
Meine Nase trieft,
aber ich weiß nicht,
ob wegen der Kälte
oder den Tränen.
Um ehrlich zu sein,
spielt es keine Rolle.
Denn ich stehe auf einer Straße,
die ich nicht kenne,
in einer Wohngegend,
die ich nicht kenne,
in einer Stadt,
die ich nicht mehr kennen will.
Und habe mich
noch nie
so kaputt gefühlt.
Die Parkbank ist nass.
Ich versuche,
die Sitzfläche
mit meinem Ärmel zu trocknen,
aber verwische
die Wasserperlen nur.
Ich setze mich trotzdem.
Eigentlich
hat es schon aufgehört
zu regnen,
doch von den Bäumen
fallen immer noch Tropfen.
Das Geräusch,
das dadurch entsteht,
ist irgendwie beruhigend.
Der sanfte Wind
kühlt mein glühendes Gesicht.
Was jetzt?
Was soll ich jetzt tun?
Zurückgehen?
Das wäre
die logischste Lösung.
Ich könnte einfach
so weitermachen
wie bisher.
Alles vergessen,
was passiert ist.
Aber ich habe
mein ganzes Leben lang
alle belogen.
Ihn
Meine Freunde
Meine Familie
Mich selbst
Alle
Ich weiß nicht,
ob ich noch mehr Lügen
ertragen kann.
Ich könnte
zu meinen Freunden gehen.
Sie würden mir
vermutlich helfen.
Aber sie würden auch
Fragen stellen.
Ich würde sie ihnen
nicht beantworten können.
Ich könnte auch
hier bleiben.
Hier,
auf dieser Parkbank,
in diesem Wald.
In den Regen starren
und den Lauf der Zeit vergessen.
Ich weiß,
das ist keine Lösung,
keine realistische.
Und doch…
Ich schließe
meine Augen.
Ein Regentropfen
landet in meinem Gesicht.
„Geh bitte“,
hat er gesagt.
Es ist wahr geworden.
Alles,
was mir
schlaflose Nächte bereitet hat.
Alles,
was mich
aus Albträumen schrecken lässt.
Alles,
woran ich
viele Tage
und Wochen denken musste.
Meine schlimmsten Befürchtungen.
Meine größte Angst.
Zwei Worte.
Zwei kleine Worte,
die ich eigentlich
schon so oft
gehört habe,
lassen mich brechen.
„Geh bitte“
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