Halbleer
Es war ein regnerischer Tag und ich war wieder bereit, diese angenehme, ach meist gar nicht so angenehme Melancholie in mir zutragen. Der morgendliche Kaffee macht mich physisch funktional, soweit, dass ich mit nassen Haaren in den Bus steige und hoffe, krank zu werden. Zuhause liegend mit einem Buch, das ich aber nur dann anfasse, wenn ich noch nicht mein Gehirn mit dieser Reizüberflutung meines Handys vollgepumpt habe, wäre ich jetzt zufrieden oder bisschen mehr als das, ach keine Ahnung. Camus’ Zeiten sind vorbei, denn jetzt ist Schule, die mir eine Flut an Emotionen in die Fresse klatscht, sodass mein Kopf nur bereit ist, diese langweilige Schullektüre zu lesen, aber sie muss für mein Zufriedenheitsgefühl reichen, etwas getan zu haben, zwar nicht versunken in einer okkulten Welt, die mich zum Nachdenken anregt, aber dies wäre ja auch mehr als Zufriedenheit und das steht mir gerade nicht zu.
Selten habe ich diese Nächte wie die gestrige, in der ich das Buch zur Hand nehme, das ich vor Wochen gekauft habe.
Diese Nächte sind Lichtpunkte in diesem zähen alltäglichen Leben. Ist es nicht Traurigkeit, dass gesellschaftlich der Alltag nicht als genießbar verstanden wird, sondern etwas, was man durchleben muss, um sich genau diese Lichtpunkte zu verdienen, bedingungslose Zufriedenheit in gesunden Dosen, Utopie?
Die morgendliche Trübheit zieht sich durch den hableeren Bus, nicht nur in den Gesichtern, sondern auch die Welt, die durch die Fenster fällt, trägt dazu bei.
Der Tag vergeht, doch man selbst bleibt einfach nur stehen, bis man abends ins Bett fällt, man gleitet in den lang ersehnten Schlaf, aus dem man aber wieder viel zu früh gerissen wird, es ist jeden Tag das Gleiche.
Es ist kein Leben mehr, es ist nur mehr ein Dahinvegetieren im eigen Fleisch und Blut.
Die Langeweile dieses Ablaufes, nein die Langeweile des Lebens sollte mein Ende sein. Ich wollte fühlen, ob gut oder schlecht war in diesen Momenten egal. Ich wollte einfach nicht mehr diese Gleichgültigkeit, die ich jeder Frage gegenüberstellte und ich wollte nicht das daraus folgende Offenbleiben der Entscheidungen und Fragen des alltäglichen Lebens.
Ich machte mich auf den Heimweg und kotze dabei den ganzen Inhalt des heutigen Schultages wieder aus. Die Prophezeiung trat ein: ich fiel in mein Bett.
Meine Zeit verging und ich war zu naiv einzusehen, dass ich jeden Tag noch mehr in meinem eigenen Mitleide versinke. Ich musste ehrlicher zu mir sein, so ehrlich, dass ich mich selbst nicht mochte. Dieses Tief tat weh, aber gab mir die Erkenntnis, dass ich den Sinn nicht schaffen kann oder er einfach in die Logik der Menschen gezaubert wird, wenn ich länger blind durch die Welt taumle. Ich musste die Augen aufmachen und die Beschaffenheit der Welt genießen, in mich aufsaugen und die Magie des Daseins durch mich strömen lassen. Der Sinn kommt nicht, ich sterbe trotzdem. Das Glück lag nie vor mir, es war immer in mir, ich musste es entdecken. Hinterfrage es nicht, wenn du es hast.
Wir danken unseren Unterstützern
Mit Unterstützung folgender Wiener Bezirke:
Für Sponsoringanfragen wenden Sie sich bitte an Margit Riepl unter margit.riepl@gmx.at
Wenn Sie "Texte. Preis für junge Literatur" unterstützen möchten, spenden Sie bitte auf folgendes Konto:
Literarische Bühnen Wien, Erste Bank IBAN: AT402011182818710800, SWIFT: GIBAATWWXXX