Hemåt / Heimwärts
Es war vier Uhr dreiundzwanzig, als wir wegfuhren. Der Himmel war eine riesige, tiefschwarze Leinwand, nur hie und da erleuchtet von ein paar Sternen.
Regentropfen bahnten sich in einem erbitterten Wettrennen ihren Weg an der eiskalten Glasscheibe hinunter, schneller, immer schneller, vorbei an meiner Wange, meinen Augen, meinem verschlafenen Selbst; Das Autoradio mittendrunter, leise Musik und Staumeldungen, die in das eine Ohr hinein und aus dem anderen wieder hinausgingen;
Und die Diskussion meiner Eltern ob wir eh nichts vergessen hatten. Natürlich nicht, dachte ich, bitter lächelnd, seit Wochen packend und planend, grübelnd und schwankend; Zwischen Vorfreude und erschreckend bedrückender Beklommenheit, aber wer konnte mir etwas vorwerfen? Menschen sind wie Knetmasse, elastisch und ständig auf der Suche nach sich selbst, ihre Gesichter sich ständig verformend und verbiegend, und wer konnte mir garantieren, dass die Augen, die ich gerade verabschiedet hatte, bei meiner Rückkehr dieselben sein würden?
Ein Zustand, der auch noch währte als ich nach und nach durch das dichte Meer aus Zuckerwatte unter mir mein neues Zuhause erspähte: Eine schneeweiße Ebene, durchzogen von dunklen Wäldern und winzig kleinen, roten Häusern.
Plötzlich war der Ort, den ich sechzehn Jahre meiner Lebenszeit zuhause nannte, tausende Kilometer entfernt und ich war auf mich allein gestellt; In einem Land in dem die Tagesdurchschnittstemperatur minus siebzehn Grad betrug und Schneestürme Alltag waren. Und doch wollte ich es so. Und doch machte die Ungewissheit in mir Platz für die Neugier auf alles, was ich hier erleben würde, in dieser anderen Welt. Alles war neu und doch altbekannt; Ich merkte schnell, dass Menschen an Orten, wo die Sonne vor allem in den kalten Monaten nur wenig und spärlich schien, ihre lebensnotwendige Wärme woanders beziehen mussten; Meine Wenigkeit, einen gewissen Grad an österreichischer Unfreundlichkeit gewohnt, hatte es nicht erwartet, mich auf einmal in einer Gesellschaft voll Hilfsbereitschaft, Lebensfreude und Herzlichkeit wiederzufinden. Und ehe ich mich versah wurden noch nie gesehene Gesichter zu Freunden, Winter zu Frühling, Frühling zu Sommer und ein Land, das ich zuvor nur ein paar Mal in den Ferien besucht hatte zu meinem zweiten Zuhause.
Als die blauen Seen, roten Häuser und grünen Wälder sechs Monate später langsam unter mir kleiner wurden und mein Flieger, der mich zurück in mein altes Leben bringen sollte, weiter gen Himmel stieg, wusste ich, dass ich all das zurücklassen musste, wie ein Gepäckstück das zu groß für meinen Koffer war.
Es war zweiundzwanzig Uhr dreiundvierzig, als ich in Wien landete. Der Himmel war eine riesige, tiefschwarze Leinwand, nur hie und da erleuchtet von ein paar Sternen. Die Luft roch warm und anders. Die Gesichter waren andere, auch wenn ich glaubte, sie schon einmal gesehen zu haben. Und ich war mir nicht sicher, ob sie sich verändert hatten oder ob ich es war. Oder wir alle.
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