Herbstzeitlose
Zartlila Blütenspitzen, nach innen hin sieht der Blumenkelch aus, als hätte er Mondstrahlen eingefangen.
Stolz und schön blüht die Herbstzeitlose, streckt ihre zarten Blätter in den bewölkten Himmel, als würde sie seine Kraft in sich aufnehmen. In der Oktoberkälte blüht sie auf. Anders als er, der fröstelnd die Hände in die Taschen seines nachtblauen Mantels schiebt.
»Unsere Blume«, sagt er. Seine Stimme durchbricht die kalt dahinplätschernde Stille wie ein Staudamm aus Kieselsteinen. Sie nickt und lächelt so, wie sie es immer tut. Schön und gleichmäßig, aber unverbindlich, der Blick schon im Sommer.
Das Wasser überspült den Damm und von seinen Worten bleibt nur eine Atemwolke in der Morgenluft zurück.
Er presst die Lippen aufeinander, schweigt wieder, sieht die Blume ein weiteres Mal an. Vielleicht passt sie doch besser zu ihr als zu ihm.
Ob das schon immer so war oder ob es ihm einfach nicht aufgefallen ist?
Die Zeit raschelt wie der Wind durch das vertrocknende Herbstlaub und er fragt sich, ob ihre Minutenlosigkeit mit dem Oktober zu Ende geht und nur Novemberkälte und Nebelschwadenworte hinterlassen wird.
»Wusstest du, dass sie giftig ist? «, fragt er und lehnt sich an einen Eichenstamm. Die Äste über ihm sind bereits kahl.
Für einen kurzen Moment halten sie an, sie und die Zeit. Manchmal ist es schwer, mit ihnen Schritt zu halten.
»Nein«, erwidert sie leise, fängt seinen Blick kurz ein, schaut weg und geht weiter.
»Ich auch nicht«, denkt er und folgt ihr. Langsam. Zögerlich. Sie wartet nicht.
Sie sind die Herbstzeitlosen. In Erwartung des Winters.
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