Herz über Kopf
Er sieht mich, aber ich sehe ihn nicht.
Er hört mich, aber ich höre ihn nicht.
Er fühlt es nicht, nur ich fühle ihn.
Er ist da. Ganz dicht hinter mir. Mein Atem wird immer unruhiger, mein Herz klopft immer lauter. Jeden Herzschlag höre ich nun. Tam tam, tam tam. Nur ihn höre ich nicht. Ich blicke um mich. Wo ist er? Ein Wimpernschlag. Da ist er wieder. Die Angst packt mich. Ich will rennen, schnell rennen! Es geht nicht. Da, er kommt immer näher! Ich spüre es, gleich ist er da!
Er sieht mich, aber ich sehe ihn nicht.
Er hört mich, aber ich höre ihn nicht.
Er fühlt es nicht, nur ich fühle ihn.
Gleich hat er mich. Gleich packt er mich! Doch dann, meine Beine!
Sie regen sich, dann bewegen sich.
Sie rennen. Ich renne. Immer weiter, immer schneller.
Auf einmal bleib ich steh'n.
Meine Beine nicht weitergeh'n.
Und langsam sinke ich nieder
auf meine müden Glieder.
Bewegungslos, regungslos. Träge bloß.
Ich öffne die Augen. Blicke um mich – Nichts!
Ich atme tief ein,
da fühl' ich so rein
den Boden unter mir
ja, direkt hier!
Ich taste und spüre,
ich streiche und berühre.
Ich kratze, klopfe, hämm're und stopfe
das Gefühl in mich hinein
und plötzlich bin ich allein.
Ich liege noch immer, meine Gestalt ist gedrungen,
doch hab ich das Gedankenmonster endlich bezwungen.
Und plötzlich fällt mir ein,
dass der nicht mehr ganz so kalte Stein
unter mir
ja, direkt hier
ein mir bekannter ist!
Langsam setze ich mich auf. Mein Kopf fühlt sich schwer an. Hals über Kopf meinte ich verschwinden zu müssen. Bloß, dass man vor seinen Gedanken nicht fliehen kann. Zumindest nicht Hals über Kopf. Das merke ich nun.
Zittrig, die Wahrheit ertastend, finde ich schließlich in die weiche, vertraute Wärme zurück. Überwältigt von grenzenloser Müdigkeit folge ich ihr gehorsam ins Land der Träume. Gedankenlose Stille, geräuschlose Leere breiten sich allmählich aus.
Doch da, da ist jemand! Ein Blick nach links, einer nach rechts. Nichts! Nach vorne, zurück, wieder nach vorne. Da, da war was! Ein Atemzug. Ich spüre ihn in meinem Nacken.
Er sieht mich, aber ich sehe ihn nicht.
Er hört mich, aber ich höre ihn nicht.
Er fühlt es nicht, nur ich fühle ihn.
Seine Hand auf meiner Schulter. Er packt mich!
- Rennen möchte ich! Einfach fortlaufen!
Ich schlage um mich. Doch da ist nichts!
- Fortlaufen möchte ich! Einfach nur fliehen!
Ich sehe nichts, ich höre nichts. Nur er, er ist da. Das weiß ich, aber wo?
- Fliehen möchte ich! Hals über Kopf!
Er packt fester zu. Seine Finger krallen sich in meine Schulter. Ich spüre jeden einzelnen Atemzug von ihm. Jeden einzelnen Herzschlag von mir. Tam tam, tam tam. Herzschlag. HERZschlag. Herz schlag! Ich keife die Augen zusammen. Tam tam, tam tam. Dann reiße ich sie auf. HERZ über Kopf.
Da, da ist was!
Er hört mich nicht, nun höre ich ihn.
Er sieht mich nicht, nun sehe ich ihn.
Er fühlt es nicht. Doch ich fühle es auch nicht.
Ich bin wieder aufgewacht. - Mein Zimmer!
Die restliche Nacht ist ruhig. Er hat mich nicht mehr gefunden!
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